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Zum Gebet in den heiligen Hinterhof

Ein Wilhelmsburger Pastor tritt für den Bau einer großen Moschee ein – und bekommt es mit seiner Gemeinde zu tun. Der Kirchenvorstand distanziert sich öffentlich, viele Christen im Stadtteil sind sauer  ■ Von Judith Weber

Fiffi pißt an die Tür der Moschee. Am anderen Ende der Leine tobt Herrchen. „Den Hund wegnehmen? Wieso denn? Das Haus steht doch leer, oder?“ In der Tat, die Moschee ist schwer zu erkennen. Eine graublaue Eisentür, ein Schild mit der Aufschrift „Dianet“. Daneben Vorhänge in milchigem Weiß, halb durchsichtig wie die Gardinen bürgerlicher Gaststätten. Das modernste an dem Gebäude ist die Zigarettenwerbung neben dem Eingang. Dennoch ist das ehemalige Lokal an der Neuhöfer Straße einer der heiligen Orte in Wilhelmsburg. Bis zu 500 Menschen treffen sich hier zum Freitagsgebet – meist mehr, als sonntags in eine der vier evangelischen Kirchen kommen.

Der Mann mit Hund ist baff. „Wissen wir doch nicht, wo die sich treffen“, bellt er und zupft an Fiffis Leine. „Die“, das sind die rund 15.000 WilhelmsburgerInnen ohne deutschen Paß. „Wir“ ist der Rest, sind die Deutschen, die Christen. Allein vier Häuser haben die ProtestantInnen im Stadtteil ihrem Gott gebaut. Mit wuchtigen Türmen, ausladenden Schiffen und weiten Toren. Dazu kommen die katholische und einige Freikirchen. Die sieben Moscheen der Elbinsel dagegen liegen in Hinterhöfen, Kellern oder umgewidmeten Büros. Hier beten auf engem Raum die rund 10.000 Wilhelmsburger Moslems.

Der Mann, der das ändern will, steht regelmäßig auf der Kanzel einer evangelischen Kirche. „Es ist gar nicht einzusehen, warum die Moslems als zweitstärkste Religionsgemeinschaft im Stadtteil keine würdige Gebetsstätte haben sollen“, sagt Pastor Hildebrand Henatsch und rückt den Strohblumenstrauß auf dem Tisch in seinem Arbeitszimmer zurecht. „Das ist eine Frage der Gerechtigkeit.“

Henatschs Wohnhaus und das Pastorat der Emmaus-Gemeinde liegen direkt neben der Kirche. Die nächste Moschee ist nur einen Steinwurf entfernt: Auf der anderen Straßenseite werden zwei Wohnhäuser als Gebetsräume genutzt – eine Notlösung, die so dauerhaft ist, wie es nur Provisorien sind, und die es den Muslimen schwer macht, sich heimisch zu fühlen, argumentiert der Pastor. „Wenn wir wollen, daß die Menschen hier ein Zuhause finden, müssen sie ihrem Glauben eine Heimat geben dürfen.“

Besonnen und eindringlich spricht Henatsch – als dürfe er keine Fehler machen und als müsse er sein Gegenüber auf Teufel komm raus überzeugen. Immer wieder hat er in den vergangenen Monaten überlegt, ob er besser geschwiegen hätte. Eine Menge Gegenwind mußte der Pastor aushalten, seit er im November 1998 eine der Hinterhof-Moscheen besucht hat. Der dortige Moschee-Verein erzählte damals von dem Plan, ein großes Gebetshaus für Moslems zu errichten. Das Geld würde man zusammenkriegen, es fehle nur noch ein geeigneter Ort. Henatsch war begeistert. Dieses Vorhaben, sagte er, könne er nur unterstützen. Damit ging der Ärger los.

Der mindestens konservative Lokalbote griff die Geschichte auf. Deutsche WilhelmsburgerInnen drohten, aus der Kirche auszutreten; bei Sitzungen des Gemeindevorstands wurde von „heller Empörung“ der Kirchenmitglieder berichtet. Der Vorstand der Emmausgemeinde distanzierte sich schließlich öffentlich von seinem Pastor. „Der Bau oder die Beschaffung religiöser Gebäude für andere Religionen – also auch der Bau einer Moschee – gehört nicht zum Auftrag einer christlichen Kirche“, heißt es in einer Stellungnahme des Kirchenvorstandes. Der Text wurde im Wilhelmsburger Wochenblatt, im Lokalboten und im Inselrundblick veröffentlicht.

„Deprimierende Erfahrungen“ waren das, gibt Henatsch zu – meint damit aber mehr die BürgerInnen als seine Vorgesetzten. Deren schriftliche Erklärung, vermutet er, entstand unter anderem aus der Angst vor Kirchenaustritten: Weil aus Wilhelmsburg wegzieht, wer es sich leisten kann, schrumpfen die Gemeinden auf der Elbinsel konsequent. Vor 20 Jahren hatte die Emmaus-Kirche gut 10.000 Mitglieder; jetzt sind es noch 2600. Wenigstens, beschwichtigt Henatsch, habe der Vorstand noch zu „Achtung“ gegenüber den Muslimen aufgerufen und zu einem „friedlichen Zusammenleben“.

Die rund 35.000 KatholikInnen und ProtestantInnen im Stadtteil haben durchaus unterschiedliche Vorstellungen davon, was damit gemeint sein könnte. Mehr Platz für die Deutschen fordern die einen, gleiches Recht für alle die anderen. Vor allem die Gegner einer muslimischen Gebetsstätte wollen ihren Namen nicht in der Zeitung lesen.

„Auf keinen Fall“ dürfe eine größere Moschee gebaut werden, sind sich die Männer einig, die zum Mittagessen in den „Insel-Imbiß“ gekommen sind, eine Pommes- und Schnitzelbude ein paar Ecken von der Moschee Neuhöfer Straße entfernt. „Wir haben schon genug von den Scheißdingern hier“, argumentiert der erste; „irgendwann gibt es nur noch Türken in Wilhelmsburg“, stimmt der zweite ein. Ein dritter zeigt mit dem Finger auf einen alten Bunker, der schwarz und drohend zwischen Wohngebäuden hockt: „Sollen sie doch da reinziehen, da ist Platz.“

Wie viele Deutsche fühlen sich die drei von den Straßen und Plätzen im Stadtteil verdrängt. „Wo ein deutscher Laden zumacht, kommt ein türkischer nach“, klagt Gertrud Heinkes, die seit 41 Jahren in Wilhelmsburg lebt. Eine große Moschee, wägt die Rentnerin ab, „würde vermutlich dazu beitragen, daß noch mehr Deutsche wegziehen“.

Stefan Wilke bleibt. „Sollen sie ihre Moschee doch bauen“, sagt der 35jährige, bevor sein Kampfhund ihn weiterzerrt. „Ist mir doch egal – gegen eine Kirche hätte ich ja auch nichts.“ Ähnlich denken einige Menschen auf der Elbinsel, hat Melik Dirik zu seiner Erleichterung gemerkt. „Es gibt viele, die uns stützen.“ Der Geschäftsmann ist Mitglied in jenem Verein, der die neue Moschee bauen will, „sobald ein geeigneter Platz gefunden ist“. Nicht nur ein Gebetsraum soll dann entstehen, sondern auch ein Begegnungszentrum. „Wir wollen Computer- und Sprachkurse anbieten“, schwärmt Dirik; sogar Moslems aus anderen Moscheen hätten schon ihr Kommen angekündigt.

Das wäre auch für die Deutschen hilfreich, glauben Pastor Henatsch und Muhammer Kazanci, Sprecher der „Arbeitsgemeinschaft Zusammenleben“, in der sich regelmäßig Parteien, Kirchen und Interessengruppen treffen. „Die Einrichtung würde die Kommunikation verbessern und das ganze übersichtlicher machen“, erklärt der 22jährige. Denn anders als die Christen sind Muslime nicht in großen Kirchen organisiert. Bei den verschiedenen Gruppen, die sich sowohl religiös als auch politisch unterscheiden, fällt es schwer, den Überblick zu behalten.

Die Jugendlichen, die rauchend durch die Neuhöfer Straße schlendern, haben ihn nicht. Sie wissen nicht mal, daß sie vor ein Gotteshaus aschen. Sicher, „gewundert“ habe sie sich schon über die vielen Männer, die dort ein- und ausgehen, sagt eine Frau und späht über den Gitterzaun. „Aber es hätte ja auch eine alte Kneipe sein können.“

Eine Moschee, der man ihre Funktion ansieht – ein solches Vorhaben müßte man den WilhelmsburgerInnen schonend beibringen, findet die CDU-Bezirksabgeordnete Marie-Luise Groß. „Man muß behutsam dafür werben. Sowas geht nicht gegen den Willen der deutschen Bevölkerung, das würde nur Ausländerhaß schüren.“ Dabei sind durchaus nicht alle Moslems AusländerInnen. „Ich beispielsweise habe einen deutschen Paß – und damit genauso das Recht auf eine würdige Gebetsstätte wie alle Bundesbürger“, sagt „Zusammenleben“-Sprecher Kazanci.

Die Arbeitsgemeinschaft ist das einzige politische Gremium, das sich mit dem Moschee-Bau befaßt hat. Die Parteien in Orts- und Bezirksversammlung haben das heikle Thema bisher ignoriert. Die Grünen stehen dem Projekt „gedämpft positiv“ gegenüber, sagt GALier Lutz Neystes. „Es ist sicher ein Schritt zur Gleichberechtigung.“ Ob es der Integration diene, sei aber „noch umstritten“. Auch die SPD hat prinzipiell nichts gegen eine große Moschee, „in die sie alle gehen können“. Aber arglos eine Debatte loszutreten, das „halte ich nicht für besonders glücklich“, sagt Manfred Hoffmann, Fraktionschef in der Harburger Bezirksversammlung. Zudem sei der Zeitpunkt – kurz nach der Unterschriftensammlung der CDU gegen den Doppelpaß – denkbar schlecht gewählt.

Pastor Henatsch will von derartigem Taktieren nichts wissen. Wer darauf baut, daß den BürgerInnen der Moschee-Bau irgendwann „schonend nahegebracht“ wird, kann lange warten, vermutet er. „Die Diskussion muß geführt werden“, sagt der Pastor und klingt plötzlich viel energischer. „Ich verstehe meinen Beitrag als Anstoß dazu.“

Die Geschichte spricht für ihn. Als kurz nach der Jahrhundertwende viele polnische Arbeiter ins evangelische Wilhelmsburg kamen, wurde für sie eine neue Kirche gebaut – eine katholische. „Dagegen gab es damals ebenfalls Vorbehalte“, argumentiert Henatsch. „Heute ist sie aus dem Stadtteil nicht mehr wegzudenken.“

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