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Rassismus der Sprache

■ Tahar Jelloun versuchte seiner Tochter Rassismus zu erklären. Herausgekommen sind ein Buch und ein deutscher Innenminister, der liest

Papa, was ist Rassismus?“ Im Februar vor zwei Jahren fragte sich das die zehnjährige Meriem, als sie in Paris bei einer Demonstration gegen fremdenfeindliche Gesetze die vielen Transparente las: Stop le Rassisme! Meriems Glück, daß ihr Vater Schriftsteller ist. Tahar Ben Jelloun, Franzose marokkanischer Herkunft, blieb die Antwort nicht schuldig. Er sprach wieder und wieder mit Meriem über Rassismus, über Fremdenfeindlichkeit, über Diskriminierung. Jelloun versuchte einem Kind zu erklären, daß es Haß auf das andere gibt und wo er herkommt. Es entstand die Idee, das Gesagte aufzuschreiben. Jellouns Übersetzungsarbeit in eine für Kinder verständliche Sprache brauchte ungefähr fünfzehn Anläufe des Um- und Neuschreibens. Seit kurzem legt der Text nun auch in Deutsch vor.

Die Mühe hat sich gelohnt. Herausgekommen ist ein Buch, das, gerade durch den Zwang, die Komplexität eines Phänomens zu reduzieren, einen anderen und klareren Blick auf das zuläßt, was Rassismus ist. Der Autor verzichtet auf den erhobenen Zeigefinger, auf das Pädagogisieren. Er tritt in einen Dialog mit seiner Tochter, nimmt sein Gegenüber ernst, läßt ihr Raum zum Widerspruch.

Der Rassist, so erklärt er der Zehnjährigen, wähnt sich besser, höherwertiger als jenen, der doch nur anders ist. Aus dieser seiner Wahrheit leitet der Rassist das Recht ab, andere Menschen zu verachten und ungerecht zu behandeln. Was bis zu offener Aggression führen kann — im Extremfall zum Genozid. Der Motor für Rassismus sind krankhafte Angst vor und Haß auf das Unbekannte, sind Unwissenheit und Dummheit.

„Wie kann man gegen Rassismus angehen?“ fragt Meriem. „Zuerst muß man die Achtung vor dem anderen lernen“, antwortet Jelloun. „Die Fremden fordern ja nicht, daß wir sie lieben, sondern daß wir ihre menschliche Würde achten.“ Was da so einfach, klar, eben kindgerecht daherkommt, trifft den Kern gerade deshalb — weil es keineswegs selbstverständlich ist. Auch im multikulturellen Alltag nicht.

Oder mit anderen Worten: Sind der Schutz und die Verteidigung der Menschenwürde in einem Land wie Deutschland, das sich als Verteidiger der Menschenrechte geriert, eigentlich gesellschaftlicher Konsens? Offenbar nicht. Wie sonst sind die sogenannten Übergriffe zu verstehen? Die Tatsache, daß immer wieder Menschen wie Tiere gehetzt, verstümmelt und ermordet werden? Wie die Reaktionen darauf, die ebenso eilfertig wie peinlich Erklärungen suchen, warum dies geschah? Wo es doch nur einen Grund für die Verfolgung dieser Menschen gab: weil sie nämlich anders sind.

Ob Rassismus eine Art Krankheit sei und geheilt werden könne, will Meriem wissen. „Die Heilung hängt vom Patienten ab. Davon, daß er sich in Frage stellen kann oder nicht.“ Das erfordere Mut, antwortet Jelloun. Und, so möchte man hinzufügen. die Erkenntnis, vielleicht selbst schon vom Rassismus infiziert zu sein.

Die Therapie dieser Krankheit beginnt beim Sprachgebrauch. „Wir müssen auf die Worte achten, die wir benutzen, denn Worte können gefährlich sein“, sagt Jelloun. „Der Kampf gegen den Rassismus beginnt mit der Arbeit an der Sprache.“ So wahr diese Feststellung ist, so entfernt ist sie von der Realität. Denn sprachliche Rassismen gehören längst zum „guten“ Ton. Das reicht von der abfälligen Bemerkung an der Supermarktkasse bis hin zu Medienberichten und Poltikerstatements, wo ungehemmt und unwidersprochen von „Asylanten“ und „Flüchtlingsströmen“ die Rede ist. Merken wir noch, was wir reden (und schreiben)?

„Niemand wird als Rassist geboren“ und „jeder Kampf gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassimus beginnt mit der Erziehung“, sagt Jelloun. Das tröstet. Und macht zugleich ratlos. Wer soll denn noch Vorbild sein? Lehrer etwa, die – wie in Frankreich – kopftuchtragende Schülerinnen des Unterrichts verweisen? Politiker etwa wie Bundesinnenminister Otto Schily, der davon schwadroniert, daß bei der Zuwanderung die Grenzen der Belastbarkeit Deutschlands überschritten seien? Wohl kaum. Das macht deutlich, daß die Bildungs- und Erziehungsarbeit, die sich immer wieder mit Rassismus auseinandersetzt, nicht allein den Multiplikatoren überlassen werden darf.

Viel Zeit dafür bleibt nicht mehr. „Ich träume davon“, schreibt der Grüne Daniel Cohn- Bendit in seinem Nachwort zur deutschsprachigen Ausgabe, „daß sich Tahar Ben Jelloun eines Nachmittags die Stunden, die er sonst diskutierend mit Schülern verbringt, nimmt und den versammelten fünfzehn Innenministern der Europäischen Union eine Lektion in Toleranz erteilt.“ Sollen wir darauf warten? Barbara Oertel

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