Die Sünde zum Frühstück

■ Sex- und Gewaltfilme, die bisher beschränkt waren, dürfen bald im Pay-TV rund um die Uhr laufen. Doch die Technik, die die Jugend vor Schweinkram schützen soll, funktioniert nicht immer

Wenn die Kunden der Pay-TV- Sender Premiere oder DF 1 dieser Tage ihre d-Box einschalten, bleibt das Fernsehbild aus. Nicht etwa, weil der Decoder mal wieder eine seiner notorischen technischen Zicken macht. Auch nicht, weil die Überweisung der Abo-Gebühr ausblieb. Es ist ein neues elektronisches Schloß, das seit Anfang letzter Woche zusätzlich zu der normalen Pay-TV-Verschlüsselung funktioniert. Damit sind Sendungen gesperrt, die eigentlich erst spät abends ausgestrahlt werden dürfen. Und davon laufen bei DF 1 und Premiere eine Menge: Am Karfreitag zeigt Premiere zum Beispiel den Horrorfilm „Wiege der Angst“ und den Actionfilm „Cover Hard 3“ – beide dürfen im Kino erst Achtzehnjährigen gezeigt werden. Und das allabendliche Sexprogramm des Senders ist gesetzlich betrachtet für Jugendliche ebenfalls tabu.

Sender werden von der Verantwortung erlöst

Nun soll der bisherige Jugendschutz lockerer genommen werden: Bisher durften Filme für Erwachsene erst nach 23 Uhr gesendet werden, jene, die das Branchengremium FSK erst für 16jährige freigibt, ab 22 Uhr. Jetzt soll die Technik mit der Nummer möglich machen, daß interessierte Zuschauer die Ballereien „im brutalen Killer-Milieu“ oder „die schamlose Lady“ auch schon zum Frühstück sehen können. So haben es die Länderministerpräsidenten beschlossen, als sie Ende Februar zu ihrer Mediensonderkonferenz zusammenkamen: „Für den Fall einer 24stündigen senderseitigen Vorsperrung sind keine Sendezeitbeschränkungen geplant.“

Die neue Regelung erlöst die Sender von der Verantwortung. Die Sender stellen nur noch die Technik zur Verfügung. „Man hätte von uns ja verlangen können, mehr Pflichten wahrzunehmen“, sagt Ulrike Beckmann, bei Premiere für Jugendschutz zuständig (jeder Sender muß eine oder einen solchen Beauftragten einstellen): „Die Verantwortung ist allein auf die Technik verlagert worden.“

Und die Technik hat bereits zu Anfang des Projekts ihre Tücken. Erst wurde der Start wegen Software-Problemen um zwei Monate verschoben. Und auch weiterhin kann, wer es darauf anlegt oder vergeßlich ist, munter ohne jede Sperre den „sündigen Showgirls“ von Premiere zuschauen. Denn die Kunden müssen selbst aktiv werden, um die Sperrtechnik zu bekommen: Sie haben von Premiere einen Brief bekommen und wurden aufgefordert, beim Sender anzurufen, um sich ihre Sperre freischalten zu lassen. Ende vorvergangener Woche hatte aber laut Premiere-Frau Beckmann ein Drittel der 1,7 Millionen Kunden den Brief vom Jahresanfang ignoriert. Bei DF 1 lief das Verfahren offenbar ähnlich – gestern war dort niemand zu erreichen, weil der künftige Premiere- und jetzige DF 1-Eigner Kirch-Gruppe seine Pläne mit beiden Pay-TV Sendern vorstellte (siehe Kasten rechts).

Jugendschutz wirkt als Geschäftsbremse

Lange haben die Medienkonzerne und Sender für die Lockerungen gekämpft. Schließlich sind es neben den exklusiven Fußball- und Filmereignissen allein die Sex- und Gewaltprogramme, mit denen die Unternehmen den TV-verwöhnten Deutschen Pay-TV schmackhaft machen können. Der strenge deutsche Jugendschutz wirkt für die Sender wie eine Geschäftsbremse. Um Filme mit Actionszenen früher zeigen zu können, schnitt man sie bislang zurecht. Und auch die als „scharf“ und „sündig“ angekündigten Sexprogramme werden entschärft – widerwillig. „Wir müssen unseren Kunden schließlich etwas bieten“, heißt es bei Premiere. Und künftig soll es gleich mehrere Sexkanäle und auch einen Actionkanal von Premiere/DF 1 geben.

„Diese Änderungen sind eine abrupte Kehrtwende und zudem sehr überraschend, weil es dazu von politischer Seite keine öffentliche Diskussion gegeben hat“, protestiert Medienwächter Victor Henle von der Thüringer Medienanstalt TLM. Die Regelung „genügt auf keinen Fall mehr den Anforderungen für einen effektiven Jugendschutz“. Klaus Rüter, Chef der für die Ländermedienpolitik federführenden Mainzer Staatskanzlei, betont dagegen: Die Sendezeitbegrenzungen würden nur dann entfallen, wenn Premiere und DF1 jede einzelne Sendung zuverlässig vorsperrten.

Auch der eigentlich zu erwartende Aufschrei der Pädagogen ist ausgeblieben. „Kindern und Jugendlichen bestimmte Inhalte nur über Sendezeitgrenzen vorzuenthalten, entspricht nicht unseren Vorstellungen von effektivem Jugendschutz“, meint Andrea Urban von der niedersächsischen Landesstelle Jugendschutz. Viele Jugendschützer fragen sich, ob im Zeitalter der Videorekorder in Kinderzimmern Sendezeitbegrenzungen noch ein adäquater Jugendschutz sein können. Aus den Zuschauerdaten, so Urban, wisse man, daß viele Kinder und Jugendliche längst zu den Abend- und Nachtzeiten fernsehen. Urban fordert eine stärkere Einbindung und Verantwortung der Eltern.

Die Neuregelung soll nun zwei Jahre im Versuch ausprobiert werden. Die Landesmedienanstalten wollen mit einem Münchner Jugendmedieninstitut in einzelnen Familien untersuchen, ob die technischen Vorsperrungen reichen. Jugendschützerin Urban hofft, daß medienpädagogische Bemühungen die gesetzlichen Beschränkungen ablösen können: „Obwohl in vielen Familien Alkohol zugänglich ist, haben wir es geschafft, daß unsere Kinder nicht alkoholabhängig sind. Warum sollten wir das nicht auch beim Fernsehen hinbekommen?“ Frank Zervos