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■ SchlaglochDas Ende des ruhmreichen deutschen Pazifismus Von Friedrich Küppersbusch

„Wer hinterm Ofen sitzt und die Zeit wenig nützt, schont zwar seine Kraft, aber wird auch nichts erreichen.“ Heinz Rühmann und Hans Albers, „Jawoll, meine Herrn!“

Wer hinterm Doofen sitzt übrigens auch: „Der Pazifismus der 80er hat Sarajevo erst möglich gemacht!“ hätte Geißler sich erleichtern können. Doch statt Helmut Kohls Versagen beim Menschenrechting, der Extremsportart der neuen Epoche, zu geißeln, begrüßt die Union den Abschuß des Tarnkappenbombers Joschka Fischer. Der Lack ist ab; nun darf labor- und labertechnisch untersucht werden, wie der Olivgrüne so lange unter jedem Radar durchfliegen konnte. Oder machen wir's kurz: Was an diesem Kriegseinsatz wäre anders gelaufen, wenn letzten September alle Grün-Wähler sagen wir mal CSU gewählt hätten?

Kohl, Kinkel und Rühe hatten immerhin eine Opposition, auf die sie sich rausreden konnten: Man wolle ja den Partnern beistehen, habe aber daheim diese blöden Pazifisten sitzen, und deshalb müsse eine deutsche Zurückhaltung akzeptiert werden. Schröder, Scharping und Fischer dagegen spüren im Nacken ein parlamentarisches Ersatzheer, dessen Wehrwille den eigenen übertrifft.

Kohl und Rühe verbaten sich noch jeden Einsatz gegen Serbien „aus historischen Gründen“, vielleicht waren es auch nur hysterische, jedenfalls kam das eleganter daher als die Tatsache, daß ein deutsches Engagement gegen Belgrad dessen französische Freunde verärgert hätte.

Nun schreitet der Franzmann Seit' an Seit', und die neue Regierung benutzt das gleiche Argument in Gegenrichtung: Gerade die historische Erfahrung der Deutschen zwinge nun dazu, gegen Kriegsverbrecher kriegerisch vorzugehen. Ein Argument, mit dem man alles und sein Gegenteil begründen kann, ist keins. Abzüglich der jeweils amtlichen Rhetorik weist die jüngste Geschichte einen roten Faden auf vom Golf über Somalia bis Kosovo. Diese „Kontinuität der Außenpolitik“ verstetigt das Vertrauen in Deutschland. Und verdaut geräuschfrei eine 20jährige Illusion.

Erhard Eppler und Willy Brandt im Bonner Hofgarten – Joschka Fischer und Jürgen Trittin beim ersten Kampfbefehl der Bundesrepublik. Kriegsdienstverweigerung beim Kampfeinsatz, beides aus gewissen Gründen, darunter auch Gewissensgründe auf beiden Seiten. Den Soldaten Blümchen in Gewehrläufe stecken, possierlich feminine Dummerchen; den heimkehrenden Soldaten Blümchen aufs Grab legen, pflichtgebeugte Mannbarkeit. Den Vorwurf der Naivität erheben bevorzugt jene, die sich für besonders erwachsen halten.

„Sie sind nachts im Stadtpark, und hinter einem Baum ermordet gerade Herr Milošević einen Albaner. Was tun Sie?“ – „Nun ja, ich werfe eine Bombe ab, dann ist der Stadtpark weg. Anschließend habe ich Gewissensbisse.“ Daß die grüne Leitfigur diese Gewissensprüfung öffentlich ablegen muß, ist bitter; wie er sie ablegt, ist ernüchternd. Er wird nicht müde, eine politische Lösung zu fordern, während er eine militärische mitmacht; er attestiert durch sein Handeln der ehedem existenten Friedensbewegung, daß sie ohne inhaltliches Erbe abtrat; es gibt kein neues Konzept; er hat keinen alternativen politischen Ansatz.

Rupert Neudeck fordert ohne Nennung von Namen, die „Politik“ möge ihre „Gesichtswahrungsübungen“ zurückstellen, um einen humanitären Korridor zu eröffnen; für diese Konfrontation hätte es keine ökopazifistische Bewegung gebraucht.

Für diesen Journalismus auch nicht. Die Gesellschaft sei, leitartikelt die Zeit, nicht „auf den Kampfeinsatz vorbereitet“. Das stimmt mehrfach. Noch dröhnt kein Ruf „Freiheit für Kosovo“ durch die Fußballstadien; eher nachträglich beginnt das Menschenrechtsorgan Bild, die Greuel der „Schlächter“ zu illustrieren. Es mag noch etwas dauern, bis die Greuel der türkischen Militärmacht sich bis in die Redaktionen rumsprechen und auch Kurden sich freuen können: Bild kämpft für sie.

Und bemerkenswert schlecht vorbereitet zeigen sich die Nachrichtenmedien auf die Lage: In den „Tagesthemen“ „bietet sich den Rettern ein Bild des Grauens“: Allerdings an der Unfallstelle im ausgebrannten Montblanc-Tunnel. Ein paar Meldungen zuvor war eine „Operation gegen den Belgrader Militärflughafen erfolgreich ausgeführt“ worden.

In den Radionachrichten wird die Erdbebenmeldung aus Indien mit dem Detail veranschaulicht, daß im Bezirksgefängnis von Utar Pradesh Gefangene in Kellerzellen vom Einsturz des Gebäudes zermalmt wurden. Dagegen „zerstörte ein Luftschlag das Polizeipräsidium von Priština“. „Zuverlässige Angaben über Opfer“ gebe es nicht – so wird die russische Angabe über „mindestens tausend tote Zivilisten“ apostrophiert. Die ganze Klippschule des schlechten Journalismus ergießt sich ins Programm – als sei nie was gewesen.

Nicht mal anständig gestorben wird in diesem Krieg. Zwischen zwei Easy-listening-Musiktiteln; kommt man „im Zinksarg zurück“ oder „wird getötet“, damit unsere Senioren nicht böse Assoziationen bekommen, wenn traditionsgemäß „an der Front gefallen“ würde.

Das ganze Goebbels-Reden- Analysieren im Sozialkundeunterricht der letzten Jahrzehnte; Legionen von Lektionen aus dem Wörterbuch der Unmenschlichkeit: es kulminiert in der kritischen Attitüde, mit der die „ethnischen Säuberungen“ problematisiert werden; zu Recht, zu wenig. Teile der journalistischen Urteilskraft wirken wie zum Wehrdienst eingezogen.

NTV erweist sich als das schnellste Nachrichtenmedium; Ton abdrehen, Schriftlaufband lesen und wenn's interessant wird – lauter drehen. Im Kosovo keine toten Deutschen und die Weru-Aktie notiert bei 310 Mark auch unverändert. Thyssen-Krupp verliert neun Pfennig. Dabei ist doch Krieg. Das hätte es früher nicht gegeben.

Das ist das Fazit, und es ist nicht mal wichtig: Die 81er Generation, jene ruhmreiche Friedens-Öko- Antinachrüstungs-Antiatom-Grünen-Generation, die als erste und einzige den Parlamentarismus von außen veränderte, ist am Ende. Künftig kann man die Bündnisgrünen wählen wegen Christian Ströbele – so wie es ja auch Leute geben soll, die wegen Leutheusser- Schnarrenberger noch mal FDP wählten. Joschka Fischers Rücktritt kann man beim Bier fordern, dabei ist der längst von denen zurückgetreten, die die alten Diskussionen führen.

Moralische Debatten führt man über das Berliner Holocaust- Mahnmal; die Realpolitik ist bitte vom selbstgefälligen Ethisieren freizuhalten. Die „Alternative“ ist heimatvertrieben; und das ist nur ein Fliegenschiß gegen die reale Vertreibung, um die es auf dem Balkan geht.

„Jawoll, meine Herrn, so haben wir es gern, von heut' an gehört uns die Welt“ ist übrigens das Ende vom Lied, der Refrain. Deshalb wurde es in den letzten Jahren nicht so gern aufgelegt. Nun aber Schluß mit der Rühmann-Keule.

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