: Immer dieses Harmoniegetue
Das Desinteresse von Frauen an Politik ist vor allem ein Desinteresse an den männlichen Protagonisten, lautet eine These der feministischen Politikwissenschaft. Daher auch so wenig Politikerinnen. Liegt es an ihrem Unvermögen, an den männlichen Kollegen? Oder gar an den Medien? Mit der Frage „Wie politikerinnenfähig sind die Medien und wie medienfähig unsere Politikerinnen?“ beschäftigt sich Marion Esch, Mitarbeiterin der im Aufbau befindlichen „Europäischen Akademie für Frauen in Politik und Wirtscaft“. Mit der Medienberaterin sprach ■ Ute Scheub
taz: Sie haben neulich einen Vortrag unter dem Titel „Medien als Produzenten weiblicher Politikverdrossenheit?“ gehalten. Wenn ich bei der taz am liebsten die „Wahrheit“ lese und die bleischweren „Zeit“-Kommentare Helmut Schmidts kaltlächelnd im Altpapiercontainer versenke, bin ich dann politikverdrossen?
Marion Esch: In der Nachrichtenforschung gibt es zahlreiche Studien, nach denen Frauen sich weniger für Nachrichten interessieren und sich schlechter an sie erinnern können. Aber sind Frauen wirklich unpolitischer, oder liegt das vielleicht an den Angeboten? Ich behaupte: Es liegt an letzterem.
Was waren denn das für Studien?
Wirkungsforschungsstudien gibt es seit mehr als zwanzig Jahren. In Europa wie in Deutschland hat das Interesse an der Wirkungsforschung stark zugenommen, als der öffentlich-rechtliche Rundfunk dereguliert wurde und die Anstalten ihren Auftrag neu formulieren mußten. Die politische Information ist ja nun der Kernauftrag dieser Anstalten. Deshalb wurde in Lernforschungsstudien untersucht, wie lange sich welche Rezipienten an welche Nachrichten erinnern und wie man ihr Nachrichtenverständnis verbessern könnte. Dabei stellte man national wie international fest, daß Frauen sich an die Gesamtmenge der Nachrichten schlechter, an bestimmte Beiträge aber besser erinnern konnten. Frauen sehen lieber Unterhaltungs- und Ratgebersendungen. Sie sehen genausooft Nachrichten wie Männer, aber mit weniger Aufmerksamkeit.
Daher das gängige Klischee: Männer interessieren sich für Politik, Wirtschaft und Sport, Frauen wollen unterhalten werden?
Ja. Aber das ist ein Klischee und stimmt in meinen Augen überhaupt nicht. Frauen fühlen sich mehr angesprochen von einer Berichterstattung mit „human touch“, in der Nachrichten personenorientiert dargestellt werden, in der der Bogen vom Allgemeinen zum Persönlichen geschlagen wird. Das deckt sich mit den Befunden der Partizipationsforschung, wonach Frauen zwar weniger in politischen Parteien engagiert sind, dafür aber mehr in Bürgerinitiativen, sozialen Bewegungen und Projekten. Die angebliche weibliche Politikverdrossenheit ist in meinen Augen eine Politikerverdrossenheit. Ein Desinteresse gegenüber einem Milieu, das sich weitgehend gegen die Lebensrealität von Frauen abdichtet.
Wie sähe eine Medienöffentlichkeit aus, die weibliche Interessen stärker berücksichtigen würde?
Die Botschaftsforschung hat zwar fleißig ausgezählt, wieviel und in welchen Rollen Frauen in den Medien präsent sind, sie hat festgestellt, daß sie – welche Überraschung! – unterrepräsentiert sind, daß zuwenig Frauenthemen geboten werden. Aber es gab kaum Debatten darüber, was Frauenthemen eigentlich sind. Was ist am Kindermachen, an Gewalt gegen Frauen, an der Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern frauenspezifisch? Viele gesellschaftliche Probleme werden als Frauenprobleme in die entsprechende Ecke abgeschoben. Und bei den „harten Themen“ – etwa Steuerpolitik – ist es im deutschen Journalismus leider kaum üblich, nach den unterschiedlichen Auswirkungen auf Frauen und Männer zu fragen. Hier verstoßen die Medien gegen ihren Programmauftrag, die gesellschaftlichen Interessenlagen und Konfliktlinien angemessen zu repräsentieren.
Und die Politiker?
Wolfgang Schäuble hat auf dem CDU- Parteitag unter Berufung auf seine Töchter verkündet, die Frauenfrage sei erledigt. Auch Gerhard Schröder beliebte, das Frauenressort als „sonstiges Gedöns“ zu bezeichnen. Und das, obwohl sich die Geschlechterfrage mit der Dynamik der Globalisierung noch verschärfen wird: Die von den Arbeitnehmern verlangte familienfeindliche Flexibilität und Mobilität wird die Belastungen für Frauen noch weiter erhöhen.
Es scheint sich hier um ein System geschlossener Regelkreise zu handeln. Frauen sehen sich in der Parteienpolitik nicht repräsentiert, also engagieren sie sich nicht darin. Auf Redaktionskonferenzen wird der ideelle Gesamtzuschauer oder –leser gern als männlicher gedacht und als solcher bedient, zumal Redakteurinnen es aus berechtigter Angst vor Abwertung vermeiden, sich für „Frauenthemen“ stark zu machen.
Das bestätigt sich in vielen Studien: Frauen sehen es als Aufstiegshindernis, wenn sie sich für die sogenannten Frauenthemen engagieren. Also reicht es nicht aus, wie in der deutschen Publizistikdebatte vielfach vertreten wurde, den Anteil der Frauen in den Redaktionen zu erhöhen, man muß auch die Herangehensweise an Themen ändern.
Inwiefern?
Es muß zum normalen professionellen Standard eines – männlichen oder weiblichen – Journalisten gehören, bei einem beliebigen Thema das Geschlechterverhältnis als gesellschaftliche Konstellation zu erkennen. In den USA hat es sich bewährt, daß in den Journalistenschulen entsprechende Lehrveranstaltungen laufen. Gewisse Hoffnungen setze ich außerdem auf die neuerdings erhöhte Zahl von Politikerinnen; sie könnten neue Themen setzen, sie könnten in vielen Bereichen ein „Gender proofing“ fordern, wie es in skandinavischen Ländern üblich ist.
Was ist das?
Schon im Planungsstadium politischer Maßnahmen wird geprüft, welche Auswirkungen diese auf die beiden Geschlechter haben. Man macht beispielsweise bei einer Steuerreform ein Gender Proofing, wie Männer und Frauen dadurch unterschiedlich belastet werden. Die nationalen statistischen Ämter sind angewiesen, kontinuierlich „Gender Statistics“ herauszugeben. In der Bundesrepublik gibt es solche Zahlen kaum, Benachteiligungen werden dadurch unsichtbar gemacht. Das fängt bei der Erwerbslosenstatistik an, wo die höhere Erwerbslosigkeit von Frauen nicht auftaucht, und hört bei den höheren Subventionen für traditionell „männliche“ Erwerbszweige wie Bergbau auf.
Bei Rot-Grün bisher kein Thema.
Stimmt. In den USA werden hier mit vergleichsweise wenig Aufwand große Erfolge erzielt, was sicher auch Resultat einer hohen professionellen Ausdifferenzierung, Arbeitsteilung und Kooperation von Frauen ist. Hingegen ist für mich unerklärlich, daß wir die weltweit größte Frauenlobbyorganisation haben – der Deutsche Frauenrat vertritt über seine Mitgliedsorganisation elf Millionen Frauen – und gleichzeitig schätzungsweise neunzig Prozent der Bevölkerung von dessen Existenz nichts wissen. Auch die Erhöhung des Frauenanteils in den Parlamenten schlägt sich bisher nicht in erhöhter weiblicher Medienpräsenz nieder. Liegt das nur daran, daß Journalisten Politikerinnen ignorieren? Oder daran, daß Frauen und Frauenorganisationen bestimmte Formen von Öffentlichkeitsarbeit ablehnen? Im Rahmen einer Studie an der Technischen Universität Berlin haben wir sämtliche deutschen Politikerinnen befragt. Ergebnis: Die meisten versuchen sich als kompetente Fachfrauen zu profilieren und nicht als Frontfrauen in der Öffentlichkeit. Von der Kommunalpolitikerin bis zur Bundesministerin waren ihre Vorbehalte gegenüber den Medien massiv. Durch den Rhein zu schwimmen oder andere Formen von „Infotainment“ oder „strategischem Newsmanagement“ lehnen viele Frauen strikt ab. Den Medien ein bißchen entgegenzukommen, ihnen interessante Bilder zu liefern, das finden sie „entpolitisierend“.
Wahrscheinlich haben die Frauen Probleme, sich als mächtig und raumgreifend darzustellen.
Die Politikerinnen sagen selbst, daß sie das nie gelernt haben. Und sie lehnen diese Art von Personenpräsentation, wie ihre männlichen Kollegen sie pflegen, explizit ab. Das sind für sie Hahnenkämpfe und Schaukämpfe.
Stimmt ja oft auch.
Ja, schon. Aber es ist für die Frauen selber problematisch, konfliktorientierte Strategien nicht zu beherrschen, es abzulehnen, sich wie ihre männlichen Kollegen vor der Kamera zu streiten und nachher gemeinsam ein Bier zu trinken. Wir leben nun einmal in einer Demokratie, in der den WählerInnen Entscheidungsalternativen dargestellt werden müssen – bei Personen, Parteien und Inhalten.
Also mehr feminine Showdowns?
Ich will jetzt nicht reinen Schaukämpfen ohne Inhalten das Wort reden. Aber frau sollte auch umgekehrt nicht behaupten, die Konfliktzentriertheit männlicher Politiker sei das Kardinalproblem.
Sind Frauen demokratieunfähiger?
Nein, sicher nicht. Aber der typisch weibliche Kommunikationsstil, wie er historisch entstanden ist, ist auf familiäre Intimkommunikation ausgerichtet, personenorientiert, dialogisch. Das aber bewährt sich in der öffentlichen Kommunikation nicht. Auch die moralischen Maßstäbe aus der familiären Kommunikation lassen sich auf die öffentliche Sphäre nicht unbedingt übertragen.
Ist das das gesamte Problem?
Ein zweites Problem liegt in der weiblichen Ambivalenz gegenüber Macht. Frauen sehen Macht nicht positiv als Übernahme von Verantwortung, sondern als negative Macht über andere, und die ist ihnen in der langen Geschichte der Geschlechterbeziehungen von den Männern verboten worden. Die feministische Hoffnung, die andere Wertorientierung von Frauen könne der Motor für das Aufbrechen verkrusteter Politikstrukturen sein, hat sich nicht bewahrheitet. Der weibliche Kommunikationsstil hat die Frauen in die Sackgasse geführt, hat sie aus dem Geschäft geworfen.
Wenn nicht männliche Hahnenkämpfe, wenn nicht langweiliges weibliches Harmoniegetue, was wäre ein Drittes? Könnten die Geschlechter sogar voneinander lernen?
In allen Studien über Frauen, die in Männerdomänen eindringen, zeigen sich immer wieder die widersprüchlichen Rollenerwartungen. Einerseits wird von ihnen „Weiblichkeit“ im Sinne familiärer Intimkommunikation erwartet: Einfühlungsvermögen, Sensibilität, Solidarität. Andererseits wird eine sich so verhaltende Frau nicht ernst genommen, sie gilt als zu weich. Viele Politikerinnen setzten in unserer Befragung darauf, sich zu ihrer „Weiblichkeit“ und zu diesen „weiblichen Werten“ zu bekennen. Das ist nicht sehr produktiv. Es produziert massiven Leidensdruck und erschwert Kooperationsformen. Wenn Frauen unfähig sind, nach einem Streit miteinander ein Bier zu trinken, vergeben sie sich eine Handlungsdimension.
Das Ziel wäre also, daß Frauen und Männer auf verschiedenen Klaviaturen zu spielen lernen, die Frauen mehr auf der öffentlichen, die Männer mehr auf der privaten?
Genau. Bestimmte „männliche“ Verhaltensweisen sind in der Politik in meinen Augen besser dazu geeignet, Probleme zu lösen und dabei persönlich unangefochten zu bleiben. Für Männer ist das allerdings viel leichter, die Welt ist für sie homogener: Männliches Verhalten ist funktionales Verhalten.
Mir fällt als Beispiel Margaret Thatcher ein: Sie pflegte zwar einen sehr „männlichen“, autoritären, starrsinnigen, unkooperativen Kommunikationsstil, dafür aber achtete sie ungeheuer auf ihre Kleidung, ihre Frisur, ihre weibliche Körpersprache. Heißt das, daß jede öffentlich auftretende Frau eine Mischform aus „männlichen“ und „weiblichen“ Verhaltensweisen kreieren muß?
Auf jeden Fall. Und das ist nicht leicht, denn die von Frauen historisch erlernte Körpersprache wirkt im Fernsehen ziemlich komisch. Männer können sich ohne Probleme breitbeinig hinstellen, Frauen nicht. Der US-Medienforscher Maikowitz hat die Reaktionen auf Politikeransprachen untersucht. Wenn eine Politikerin und ein Politiker das gleiche Verhalten zeigten, hieß es bei der Politikerin: „Die ist aber hart, die möchte ich nicht zu Hause haben“ und bei dem Politiker: „Der hat es aber drauf.“
Und in der parlamentarischen Arbeit?
Es gibt auch eine Untersuchung über das Blickverhalten in Parlamenten. Frauen halten die dialogische Kommunikationsform selbst in Parlamenten durch, indem sie denjenigen anschauen, an den sie ihre politische Aussage adressieren, während die Männer in die Ferne gucken und dann auch nicht die Not haben, auf die Verweigerung eines Blickkontakts reagieren zu müssen. Angela Merkel zum Beispiel hat immer versucht, Helmut Kohl im Auge zu behalten.
Es wird noch spannend werden, ob Angela Merkel als Generalsekretärin der CDU von den Männern auf Dauer akzeptiert wird. In ihrer Körpersprache, mit ihrer krummen Haltung und ihrem ständigen Blick nach oben signalisiert sie extreme Unterwürfigkeit. Müssen sich Frauen und Frauenorganisationen mehr Medienprofessionalität antrainieren?
Unbedingt. Es gibt das eindringliche Beispiel der Europäischen Konferenz der Frauenministerinnen 1996 in Rom. Obwohl die JournalistInnen händeringend darum baten, gab es keine einzige Pressekonferenz, ja, nicht mal Presseerklärungen mit zitierfähigen Sätzen der Ministerinnen. Der italienische Ministerpräsident kam zur Konferenz, um ein Grußwort zu sprechen, innerhalb von Sekunden war alles voller JournalistInnen, und die gingen mit ihm zusammen wieder heraus. Und so etwas bringen gestandene Ministerinnen fertig!
Kein Interesse an Performance?
Bei unserer Befragung kam deutlich heraus, daß Medientraining für die Politikerinnen ganz unten rangierte. Sie wollten immer nur Fachwissen, Fachwissen, Fachwissen.
Welche Möglichkeiten gäbe es, die Politik in anderer Weise für die Geschlechterfrage zu sensibilisieren?
Durch die Einrichtung einer Enquetekommission zur Gleichstellung beispielsweise. Oder warum haben wir nur einen Rat der fünf Wirtschaftsweisen und nicht auch fünf Gleichstellungsweise, die in ihrem Herbstgutachten auseinandernehmen, daß die neue Rentenreform die Familienarbeit von Frauen wieder zuwenig berücksichtigt? Die Geschlechterfrage ist statt dessen stark moralisiert worden: Frauen werden immer als die Verlierer, als die Opfer dargestellt. Das ist eine Moralkommunikation, die abschreckend wirkt, besonders auf junge Frauen.
Ute Scheub, 43, freie Journalistin aus Berlin, ist Gründungsmitglied der taz und war lange Jahre taz-Redakteurin
Der Gründungskongreß der Europäischen Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft findet am 17. April im Roten Rathaus und im Hotel Hyatt in Berlin statt
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