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Die Polizei darf nun jeden kontrollieren

■  CDU und SPD beschließen heute im Abgeordnetenhaus die Einführung von verdachtsunabhängigen Polizeikontrollen und eines Freiwilligen Polizeidienstes. Ein Gegenantrag von PDS und Grünen ist chancenlos

Trotz scharfer Kritik von Grünen und PDS wird die Große Koaliton heute im Abgeordnetenhaus eine Verschärfung der Polizeigesetze und die Einrichtung eines Freiwilligen Polizeidienstes beschließen. Für Berlin ist die Verschärfung des Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes (Asog) eine innenpolitische Zäsur.

Künftig kann jeder Bürger auch ohne vorherige Verdachtsmomente von der Polizei kontrolliert werden. Diese auch als Schleierfahndung bezeichneten verdachtsunabhängigen Kontrollen sind zwar lagebildabhängig und müssen vom Polizeipräsidenten angeordnet werden, doch dies hält Wolfgang Wieland, der innenpolitische Sprecher der Grünen, für „Augenwischerei“. „Mit dem Hinweis auf grenzüberschreitende Kriminalität kann diese Maßnahme jederzeit begründet werden“, so Wieland. Eine Höchstdauer für die Schleierfahndung besteht nicht, nach vierzehn Tagen muß geprüft werden, ob die Voraussetzungen weiterhin vorliegen. Wieland bezeichnete den „Verstoß gegen die Unschuldsvermutung des unbescholtenen Bürgers“ als „Sündenfall“ der Großen Koalition. Die Verschärfung der Polizeigesetze sei in der Öffentlichkeit zuwenig als „Überschreitung des rechtspolitischen Rubikons“ verstanden worden.

Im Asog wird es über den schon jetzt möglichen Platzverweis hinaus künftig auch ein „Platzverbot“ geben. Obdachloseninitiativen befürchten, daß es sich um eine „Anti-Penner-Verordnung“ handele. Wieland geht davon aus, daß die Polizei dieses Instrument vor allem gegen Drogendealer einsetzen wird.

In einem Gruppenantrag des PDS-Abgeordneten Stefan Zillich, den 21 Parlamentarier von PDS und Grünen unterschrieben haben, macht die Opposition deutlich, wo sie den eigentlichen Änderungsbedarf des Asog sieht: Für Polizisten wird eine Kennzeichnungspflicht gefordert. Die Zahl der gefährlichen Orte, an denen die Polizei jederzeit Kontrollen durchführen kann, soll eingeschränkt werden. Der Antrag dürfte allerdings keine Mehrheit finden und bleibt damit allenfalls ein Signal.

Auf entschiedene Kritik von Grünen, PDS, FDP, DGB und Gewerkschaft der Polizei stößt auch die Umwandlung der umstrittenen Freiwilligen Polizeireserve (siehe Kasten) in den Freiwilligen Polizeidienst. Als Hobbypolizist können sich künftig Bürger zwischen 18 und 45 Jahren bewerben. Nach einem vierzehntägigen Lehrgang können sie bewaffnet die Polizei bei Streifengängen, Verkehrskontrollen und beim Objektschutz unterstützen.

Während die Innenpolitiker von CDU und SPD beteuern, daß die Hilfssheriffs bei Streifengängen in der Stadt stets von Polizisten begleitet werden sollen, läßt der Gesetzestext laut Wieland auch unbegleitete Streifengänge und Verkehrskontrollen zu. Schon jetzt liegen Wieland Berichte vor, daß FPR-Mitglieder alleine auf der Straße Streife gingen. „Die Große Koalition will einen gesetzwidrigen Zustand, der jetzt schon existiert, gesetzmäßig machen“, lautet sein Vorwurf.

Während der rot-grünen Koalition hatte die SPD 1991 die Abschaffung der FPR bereits unterzeichnet, zu einem entsprechenden Beschluß kam es aber nicht mehr, weil die Koalition zerbrach. Zwei Jahre später wies die Große Koalition den FPR-Mitgliedern, die bis dahin nur als Objektschützer tätig waren, neue Aufgaben zu. Seitdem dürfen sie in Grünanlagen allein Streife gehen.

Obwohl sich mehrere renommierte Bürgerrechtsgruppen zu einem Bündnis gegen die Gesetzesverschärfung zusammengeschlossen hatten, stießen sie kaum auf Resonanz. Das Ausbleiben einer öffentlichen Debatte führte Wolfgang Wieland gestern zum einen darauf zurück, daß der Kosovo-Krieg alles überlagere. Zum anderen wirke das „jahrelange Trommelfeuer“, daß zur Bekämpfung der Kriminalität schärfere Gesetze notwendig seien. Wieland: „Das Aufwachen kommt erst später.“ Dorothee Winden

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