: Zwangspfand gefährdet Mehrweg
■ Getränkeindustrie will mit Einheitsquote Sanktionen entgehen. Umweltminister Trittin bleibt nur scheinbar auf hartem Kurs
Berlin (taz) – Wenn es die Getränkeindustrie nicht schafft, mehr Mehrwegflaschen zu verkaufen, kommt eben das Zwangspfand – da war Jürgen Trittin noch im letzten November klar und unnachgiebig. Da hat er erstmals festgestellt, daß die gesetzliche 72-Prozent-Quote für Mehrwegflaschen nicht erreicht wurde. Auch 1999 sieht es schlecht aus: 71,35 Prozent ist die Prognose der Gesellschaft für Verpackungsmarktforschung in Wiesbaden. Knapp daneben ist auch vorbei, sagt Trittin. Also scheint alles auf ein Zwangspfand hinauszulaufen. Doch im Umweltministerium wachsen die Zweifel, ob das der geeignete Weg ist: „Das Beste am Zwangspfand ist die Drohung.“
Ursprünglich sollte das Zwangspfand die Verbraucher zur Mehrwegflasche statt zur Wegwerfdose greifen lassen, um den Mehrweganteil zu erhöhen, wenn die Wirtschaft das nicht allein hinbekommt. Doch welche Auswirkungen ein Zwangspfand tatsächlich haben wird, ist unklar. Auch für das Umweltbundesamt, das sich von der Gesellschaft für Verpackungsmarktforschung in Wiesbaden seit 1978 die jährlichen Quoten berechnen läßt. „Wir wissen überhaupt nicht, was passieren würde“, sagt Verpackungsexperte Hans-Jürgen Oels.
Das Risiko ist für Wirtschaft und Umwelt gleichermaßen hoch. Die Arbeitsgemeinschaft Verpakkung und Umwelt (AGVU) in Bonn hat deshalb eine kombinierte Quote ins Gespräch gebracht: Seit Jahren fließen mehr Einweggetränkeverpackungen in die Wiederverwertung, als die Verpakkungsverordnung vorschreibt. Nun will die AGVU Einwegquote und Mehrwegquote zusammenführen. Mindestens 90 Prozent aller Verpackungen sollen wiederverwertet werden, ist die Zielvorgabe. Keine besonders hohe Meßlatte – dieser Wert wird schon jetzt erreicht.
Umweltverbände befürchten, die Mehrwegflasche könnte „vom Markt gefegt“ werden. Wolfgang Schutt, Berater der AGVU, hält dagegen: Die Mehrwegquote sei seit langem stabil, ein radikaler Einbruch sei nur bei Einführung des Zwangspfandes zu befürchten. Die Gesellschaft für Verpackungsmarktforschung hat das Modell durchgerechnet. Ergebnis: Der Mehrweganteil sänke auf maximal 66 bis 68 Prozent. Allerdings geht Geschäftsführer Gerhard Eisenblättler davon aus, daß dieser Anteil mit einem Zwangspfand noch einmal „erheblich“ niedriger liegen würde. Genaue Zahlen konnte aber auch er nicht nennen.
Der Handel fürchtet vor allem die Investitionskosten: 1,5 Milliarden Mark müßten in neue Rücknahmeautomaten gesteckt werden. Das herkömmliche Flaschenpfandsystem liefe Gefahr, zu teuer zu werden. Auf Dauer wird sich nur ein System durchsetzen, warnen die Verbände. Schutt räumt dem Mehrwegsystem dabei keine allzu großen Chancen ein. Nicht zuletzt auch, weil die Regierung mit „der Einführung des Zwangspfandes ihr stärkstes Druckmittel aus der Hand geben würde“.
Oels rät, erst die neue Ökobilanzstudie seines Hauses abzuwarten, die im Herbst vorliegen soll. Zur Zeit wird untersucht, welche Verpackungsarten die umweltverträglichsten sind. Aus einer ähnlichen Studie ging 1993 hervor, daß Mehrweg nicht in jedem Fall besser als Einweg ist: Milch in Plastikbeuteln schnitt genausogut ab wie die Mehrwegglasflasche. Noch will der Umweltminister von seiner harten Linie nicht abweichen: „Die Wirtschaft hat es in der Hand, ob das Zwangspfand kommt oder nicht.“
Die Getränkelobby will sich jetzt beeilen, Trittin ihr Konzept schmackhaft zu machen. Denn dafür müßte das Gesetz geändert werden. Gerade aber erst hat die Bonner Koalition die Novellierung der Verpackungsverordnung um ein Jahr verschoben. Einen Fürsprecher hat die AGVU bereits: Der parteilose Wirtschaftsminister Werner Müller hat, zum Ärger von Trittin, bereits reagiert: Er begrüßte die Vorschläge. Thorsten Denkler
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