: Die innere Welt neu ordnen
■ In der Kinderpsychiatrie im Hamburger Universitätskrankenhaus Eppendorf werden traumatisierte Flüchtlingskinder behandelt
Niemanden trifft die schreckliche Erfahrung Flucht so ungeschützt wie Kinder. Für viele ist es eine traumatisches Erlebnis, das bei manchen zu nachhaltigen psychischen Schädigungen führt. In Hamburg wird Kindern aus Krisengebieten im Universitätskrankenhaus Eppendorf auf der Station für Kinder- und Jugendpsychiatrie geholfen.
Hier kommen Flüchtlingskinder aus der ganzen Welt an, aus Afghanistan, Nigeria, aus dem Kongo und seit einiger Zeit auch aus dem Kosovo. „Hier wird jeder behandelt, egal ob legal oder illegal, krankenversichert oder nicht“, sagt der Psychiater Hubertus Adam. Die Kinder, die hierher kommen, sind durchgehend schwer traumatisiert.
Das Trauma Flucht kann sich auf unterschiedliche Weisen äußern. „Einige Patienten haben aggressive Ausbrüche, sind hektisch, unruhig oder extrem aufgeregt. Andere wiederum sind depressiv, still, völlig zurückgezogen in ihre eigene Welt“, sagt Adam. Einige Kinder, die in Hamburg ankommen, sind äußerlich unauffällig. „Doch hinter der Fassade tobt das Grauen“, sagt der Psychiater.
Für die jungen Patienten aus dem Kosovo, die in Eppendorf ambulant betreut werden, bieten die Psychiater vor allem Gesprächstherapien an. Die meisten brauchen zunächst einmal nichts weiter als Aufmerksamkeit, sagen die Ärzte. Aufmerksamkeit, die die Eltern aufgrund ihrer eigenen Probleme nicht geben können. Manchen Kindern hilft es, wenn sie an die positiven Erlebnisse auf ihrer Flucht erinnert werden – etwa Gemeinschaftserlebnisse oder gegenseitige Hilfsbereitschaft unter den Flüchtlingen. In anderen Fällen ist es ratsam, überhaupt nicht an das traumatische Erlebnis zu erinnern. „Ob der Deckel, der die schlimmen Erlebnisse tief im Inneren der Kinder verschließt, abgenommen wird oder nicht, wird von Fall zu Fall entschieden“, sagt Adam.
Für viele Kinder sei es schon eine große Hilfe, wenn ihnen klargemacht werden kann, daß ihr „unnormales“ Verhalten kein individuelles Phänomen ist, sondern daß es auf ein Massenerlebnis zurückzuführen ist, an dem sie selbst keine Schuld tragen.
Adam fordert, daß die Flüchtlinge aus dem Kosovo eine feste Zusage bekommen, wenigstens ein Jahr in Deutschland bleiben zu dürfen. Nur so könne ihnen die Angst genommen werden, allzu schnell zurückkehren zu müssen – in Gebiete, die in ihrer Erinnerung so schwer belastet sind. Als Beispiel schildert der Psychiater den Fall einer Bosnierin, die sich nicht mehr auf die Straße traut – sie rechnet täglich mit ihrem Ausweisungsbescheid.
Doch Adams Hoffnung auf die Politik ist gering. „Auf die äußere Welt sind wir leider ohne Einfluß, aber die innere Welt der Patienten kann geordnet und gewappnet werden. Und das tun wir hier.“
Volker Weidermann
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