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Modell Horn für Norddeutschland

Das 1. Hamburger Jugendparlament tagt in Horn und Billstedt  ■ Von Hubert Bätz

Hände mit gelben, grünen und roten Karten schnellen hoch. „6 dafür, 6 Enthaltungen, 3 Nein-Stimmen – damit ist der Antrag angenommen. Und jetzt weiter, bitte!“ Die Stimme, die diesen Vorgang routiniert abhandelt, klingt wie die einer professionellen Politikerin. Aber die 25jährige Erzieherin Susanne Niemann hat „mit der etablierten Politik nichts zu tun, außer daß ich zur Wahl gehe“. Sie arbeitet aus Begeisterung als Geschäftsführerin für eine Idee. Für die des 1. Hamburger Jugendparlaments (JuPa) in Horn-Billstedt.

Heute muß sie auf Tempo beim Ablauf der Sitzung drängen, denn die Jungparlamentarier müssen spätestens um halb zehn das Lehrerzimmer der Schule Beim Pachthof verlassen. Den 18jährigen Handelsschüler Wolfgang (18) „nervt, daß alle Horner Telefonzellen Kartentelefone haben. Wer hat dauernd schon 12 Mark dabei, wenn er ein einziges Gespräch führen will“, fragt er in die Runde. Auch Azubi Martin Naser (20) findet es „blöd, daß es keine Münztelefone mehr gibt“. Wolfgang Großmann, Sozialarbeiter im Haus der Jugend Mannshardstraße, wirft ein, „daß die Post aus Abrechnungsgründen niemals auf Kartentelefone verzichten wird“. Sein Vorschlag, das JuPa solle bei der Telekom beantragen, daß sie „Karten für 4 oder 6 Mark für Jugendliche anbietet“, findet Zustimmung, obwohl niemand so richtig weiß, wo mensch das beantragt. Ergebnis der Beratung: „Die beiden Wolfgangs kümmern sich um den ,Modellversuch Horn, oder besser noch Norddeutschland'.“

Großmann und andere Erwachsene dürfen über die Anträge nicht mitabstimmen. „Die beraten uns nur“, sagt der 18jährige Ewgeny Narodestkyi. Er findet das „gut so“. Damit hat auch Matthias Koberg, Sozialarbeiter des Horner TIMO-Jugendclubs, „keine Probleme“. Denn das Jugendparlament, das im November 1998 von Horn-Billstedter Jugendlichen und SozialarbeiterInnen in einer „Zukunftswerkstatt“ erdacht worden war, „ist ja dazu da, daß Jugendliche nicht nur wie bei den üblichen Diskussionen ihre Ansichten äußern dürfen, sondern selbst aktiv werden“, argumentiert Koberg.

Daß sie in ihrem Stadtteil, der als sozialer Brennpunkt eingestuft wird, einiges zugunsten junger Leute verändern wollen, davon überzeugten die Jugendlichen auch den Jugendhilfeausschuß und das Jugendamt im Bezirk Mitte. Die Idee eines Jugendparlaments stieß dort auf breite Zustimmung. „Sogar einen eigenen Etat von 20.000 Mark für 1999 haben wir erhalten. Das Geld können wir selbständig für Horner und Billstedter Jugendprojekte verwenden. Außerdem haben wir noch einmal 5.000 Mark für die Geschäftsführung“, erklärt der 20jährige Zivi Sebastian von Borstel, der als Pressesprecher des JuPa fungiert.

„Geld ausgeben“ könnten die Jugendlichen zum Beispiel für den Antrag dreier junger Türken, die auf der Wiese neben dem U-Bahnhof Legienstraße einen Fußball-oder Basketballplatz wollen, weil der Hausmeister sie „nicht auf den Fußballplatz der Schule Hermannstal läßt oder die Körbe dort nicht aufgehängt sind“. Das sieht die 19jährige Azubi Jasmina Banic nicht ein. Die Jungs sollten erst mal mit dem Hausmeister reden. Sie plädiert für Ablehnung, „zumindest Nichtbefassung des Antrages“. Das JuPa beschließt, daß eine Delegation das Gespräch mit dem Hausmeister suchen soll.

„Jasmina wollte doch nur sparen“, vermutet einer. Die Jugendlichen gehen nämlich sehr sparsam mit ihren Mitteln um, Sponsorensuche ist erst einmal für die Antragssteller angesagt, „bevor es an unseren Topf geht“, so Jasmina.

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