: Zwerge im Lande des Riesen
■ Die ersten arabischen Zeitschriften in Berlin kamen in den 20er Jahren heraus. Die heutigen Zeitschriften stecken in der Krise. Sie setzen auf die wachsende Bedeutung der Bundeshaupstadt
In einem Punkt unterscheidet sich der Ku'damm kaum von den bekannten Einkaufsstraßen in den europäischen Metropolen, zumindest nicht aus der Sicht eines Arabers. Hier und dort stößt man in den Kiosken auf arabische Titel wie Al-Hayat, Al-Quds Al-Arabi, Al-Ahram – Titel von Publikationen, die entweder in der Heimat oder in London und Paris herausgegeben werden. Nur ein Titel stammt aus Deutschland: Al Liqa Al-Arabi, und der ist nicht einmal regelmäßig in den Regalen zu finden.
Dabei erlebten die arabischen Publikationen in Berlin Anfang der 90er Jahre einen Boom. In den Jahren 1993 und 1994 konnte man ganze fünf Zeitschriften zählen: Al-Mouaten Al-Arabi (der Arabische Bürger) und Al-Liqa Al-Arabi (das Arabische Treffen), die sich als Publikumszeitschriften verstanden. Außerdem gab es Al Auda (die Rückkehr) mit einem starken palästinensischen Profil, Al-Khaima (das Zelt), ein Sprachrohr einer Handvoll arabischer Oppositioneller, und Al-Mada (der Horizont) mit einem überwiegend literarischen und kulturellen Schwerpunkt.
Eine Studie der Freien Universität von 1994 benennt zweierlei Gründe für diesen Boom: das verstärkte Nationalbewußtsein der Araber infolge des zweiten Golfkrieges und die zunehmende Bedeutung des vereinigten Deutschlands, die sich auf das Selbstverständnis der in Deutschland lebenden Minderheiten übertrug. Dies bringt der libanesische Journalist Gassan Abu Hamad so zum Ausdruck: „Deutschland war vor der Einheit ein wirtschaftlicher Riese und ein politischer Zwerg. Heute ist Deutschland in jeder Hinsicht ein Riese. Es ist seine Stellung in der internationalen Politik, die die Entstehung von arabischen Zeitschriften hier notwendig macht, um über das Leben dieses Riesen zu berichten.“
Abgesehen von Al-Liqa Al-Arabi überlebte jedoch keine arabische Publikation. „Die meisten, die publizistische Initiativen ergriffen haben, waren Amateure, ihre Beziehung zum Journalismus war schwach oder erst gar nicht existent“, meint Ralf Gadban, ehemaliger Direktor des Asylbeartungsstelle für Araber in Berlin. „Sie waren übereifrig mit begrenzten finanziellen Möglichkeiten, und wenn das Geld alle war, gingen sie nach Hause, und es war Feierabend.“
Ali Ayad, Herausgeber und Chefredakteur der monatlich erscheinenden Al-Liqa Al-Arabi, will trotz der Schwierigkeiten ausharren. Er zählt nicht nur auf die Araber in Deutschland, deren Zahl auf 350.000 geschätzt wird, sondern auch auf die Leser in der Heimat, genauer gesagt im Libanon und in Ägypten, wo seine Zeitschrift auch verkauft wird: „Trotz der tiefen Wurzeln der arabischen Minderheit in Berlin kann man sich nicht auf den arabischen Absatz- und Werbemarkt hier verlassen. Doch durch uns lernten sich die arabischen Vereine und Unternehmen in der Stadt erst kennen. Das wäre durch Zeitschriften aus London oder Paris nicht zu erreichen“. In Berlin gibt es über vierzig arabische Vereine.
Das Dilemma der arabischen Zeitschriften in Berlin besteht offensichtlich darin, daß sie das fehlende Publikum beklagen, während jenes das anspruchslose publizistische und technische Niveau kritisiert. Dieser traurige Zustand weckt Erinnerungen an die goldene Zeit der arabischen Publikationen in Berlin.
In den 20er Jahren kamen die ersten arabischen Studenten nach Deutschland. Diese gaben eine ganze Reihe arabischer Publikationen heraus. Dazu gehören sowohl die deutschsprachigen Blätter Ägyptische Korrespondenz, Die Ägyptische Flagge und Der Islamische Student als auch die arabischsprachigen A-Gihad (der Kampf) und Al-Difa Al-Watani Al-Masri (die Ägyptische Nationalverteidigung).
Darin brachten die arabischen Intellektuellen ihre Träume von Freiheit und Nationalstaatlichkeit zum Ausdruck und versuchten, die deutsche Öffentlichkeit für ihre Anliegen zu sensibilisieren. Viele von ihnen sahen in Deutschland einen natürlichen Verbündeten gegen die verhaßten Kolonialmächte England und Frankreich.
Vor dem Hintergrund dieser glorreichen Geschichte suchen die arabischen Intellektuellen heute nach Lösungskonzepten. Gassan Abu Hamad, Vorsitzender der libanesischen Exiljournalisten, plädiert für mehr Fingerspitzengefühl: „Das Fernbleiben des Lesers hat nur einen Grund, nämlich die fehlende Identität der arabischen Publikationen in Berlin. Diese müssen ihre eigenen Profile finden, etwa die arabisch-deutschen Beziehungen. Gesucht sind Themen, die Alltag und Interessen der Araber in Deutschland berühren.“ Adressiert sind diese Worte an Al-Liqa Al-Arabi und an die erst seit Anfang dieses Jahres monatlich erscheinende Zeitschrift Al-Hadath Al-Arabi (das Arabische Ereignis).
Ralf Gadban seinerseits richtet sein Augenmerk auf den marktwirtschaftlichen Aspekt und sieht in den Arabern in Deutschland und in den skandinavischen Ländern zusammen eine Basis, die eine eigene Zeitschrift tragen könnte. Mit Hoffnung erfüllt ihn der Umzug der Bundesregierung nach Berlin: „Dieser wird Berlin zu einem Zentrum machen, das vergleichbar mit London oder Paris wäre. Dies konnte Bonn in den letzten fünfzig Jahren nicht werden.“ Aktham Suliman
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