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KommentarAlles ruhig

■ Eine kluge Strategie der Kurden

Beinahe traut man dem Frieden nicht. Wer nach dem Todesurteil für PKK-Führer Abdullah Öcalan befürchtet hatte, daß es in der größten Kurden-Gemeinde Europas, hier in Berlin, zu massiver Randale kommen würde, sieht sich Gott sei Dank bisher nicht bestätigt. Zwar gab es einen kleinen Anschlag, der womöglich von Trittbrettfahrern verübt wurde. Insgesamt aber üben sich die oft zornigen und empörten Kurdinnen und Kurden in erstaunlicher Disziplin. Das ist nicht selbstverständlich für ein Volk, das aufs bitterste verfolgt wird und lernen mußte, daß sein Anliegen oft erst Gehör findet, wenn es Gewalt ausübt.

Diese Ruhe erstaunt. Offenbar zeigt sie eine neue Strategie vor allem der PKK, die jahrelang bundesweite Ausschreitungen zu weit nichtigeren Anlässen organisierte. Der Grund dieses Strategiewechsels dürfte sein, daß Öcalan selbst während des Prozesses Kreide gefressen und die PKK eingesehen hat: Zumindest zur Zeit ist die Unterstützung Europas gegen die Vollstreckung des Urteils nur dann zu bekommen, wenn die Kurden ruhig bleiben. Hier ist es zur Abwechslung einmal ein Vorteil, daß die PKK so großen Einfluß in der kurdischen Gemeinschaft in Europa ausübt und so straff organisiert ist. Klug handeln auch die Vertreter der kurdischen Vereine der Hauptstadt, die mäßigend auf ihre Landsleute wirken.

Aber das Risiko bleibt. Zu befürchten ist, daß die Wut und die Verzweiflung der Kurden sofort wieder ausbricht, wenn das Urteil doch vollstreckt werden sollte. Diese Randale muß man nicht herbeischreiben, auch wenn manche Medien solche Ausschreitungen um der Schlagzeilen willen fast zu ersehnen scheinen; und das nicht nur in der Boulevardpresse. Es käme also darauf an, daß alle, die politische oder publizistische Verantwortung in Berlin und bundesweit tragen, Druck auf Ankara ausüben, damit Öcalan nicht am Galgen endet – mit welchen Erfolgsaussichten auch immer. Es muß ein Druck sein, der die Türkei das Gesicht wahren läßt.

Wenn Öcalan nicht hingerichtet wird, ist das nicht nur gut für die Kurden. Es würde allen Türken helfen. Und der Druck auf Ankara wäre auch im reinen Eigeninteresse Berlins. Philipp Gessler

Bericht Seite 24

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