: „Verhältnismäßigkeit gewahrt“
Regierungsparteien und Innensenator verhandeln über Abschiebepraxis. Pastorin wirft Behörde Falschaussagen vor ■ Von Elke Spanner
Während Amtsleiter Ralph Bornhöft entspannt im Hof des Rathauses zu Abend speiste, verhandelten drei Stockwerke darüber die Spitzen der regierenden SPD- und der GAL-Fraktion über die Abschiebepraxis seiner Ausländerbehörde. Selbst Bornhöft mußte draußen bleiben, denn man hatte absolute Geheimhaltung über die Verhandlungsstrategie und den Gesprächsverlauf vereinbart. Bis Redaktionsschluß dauerte die Sitzung an.
Das Gespräch der Regierungspartner war angekündigt worden, seit im Mai das interne Papier der Innenbehörde bekannt geworden war, in dem diese ankündigte, die Zahl der Abschiebungen steigern zu wollen. Damals hatte Innensenator Hartmuth Wrocklage (SPD) der GAL sein Wort gegeben, das Papier zunächst nicht umzusetzen. Paralell hatte er mehrere schwer kranke Flüchtlinge abschieben lassen. Auch Wrocklage saß gestern mit am Verhandlungstisch. In das Gespräch war er laut seinem Sprecher Christoph Holstein mit der Zuversicht gegangen, „daß man sich einigen werde“. Erst gestern hatte die Innenbehörde in der Antwort auf eine kleine Senatsanfrage der Regenbogen-Abgeordneten Susanne Uhl darauf beharrt: „Bei der Abschiebung (...) wurden sowohl der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als auch die Würde des Menschen gewahrt“.
Ganz anders hat hingegen die Pastorin Friederike Raum-Blöcher, die Nikar Selcuk über Monate betreut und zur Ausländerbehörde begleitet hatte, deren Umgang mit der Kurdin wahrgenommen. Sie erwägt nun, in einem Brief an den Senat dessen „verzerrte Darstellung“ zurechtzurücken. So behauptet die Innenbehörde etwa in ihrer Antwort, im letzten Gespräch mit der Kurdin sei kein Zweifel daran gelassen worden, daß ihre Ausreise unmittelbar bevorstünde. Dem widerspricht die Pastorin: In jenem Gespräch am 7. Juni habe die Sachbearbeiterin sich bereit erklärt, die Duldung auf sechs Wochen zu verlängern, damit die Kinder von Nikar Selcuk das Schuljahr abschließen könnten.
Auch der vorige Termin bei der Ausländerbehörde Anfang Mai sei grundlegend anders verlaufen, als von der Innenbehörde nun dargestellt: Dort habe die Sachbearbeiterin der Kurdin angekündigt, daß sie nun ein medizinisches Gutachten einer Amtsärztin über die Reisefähigkeit Selcuks in Auftrag geben wolle. Seither habe die Kurdin auf eine Ladung des Gesundheitsamtes gewartet. Um das Gesundheitsamt benachrichtigen zu können, habe die Ausländerbehörde auch nach der Adresse der Kurdin gefragt. Statt einer Amtsärztin schickte sie dann Anfang Juni Polizisten zur Abschiebung dorthin.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen