„Erste Rechtshilfe“: Fibel für Staatsopfer

■ Der Bremer Rechtsanwalt Rolf Gössner veröffentlicht mit seiner „Ersten Rechts-Hilfe“ eine Anleitung für einen selbstbewußten Umgang mit Polizei, Justiz und Geheimdiensten

Der Bremer Rechtsanwalt Rolf Gössner hat allen Grund, gegenüber dem Rechtssystem mißtrauisch zu sein: Seit über 25 Jahren wird er vom Verfassungsschutz beobachtet. Die Erfahrungen mit dem staatlichen Gewaltmonopol wurden zu Gössners Berufung: Unzählige Bücher und Aufsätze zum Thema Innere Sicherheit erschienen in dieser Zeit, inzwischen hat er sich zu einem der profiliertesten Kritiker des praktizierten Systems der Inneren Sicherheit gemausert. Seit 1990 ist Gössner wissenschaftlicher und rechtspolitischer Berater der Grünen im Niedersächsischen Landtag. Auch für die PDS gab er schon seine Meinung ab.

Jetzt liegt ein neues Buch des Rechtssystem-Kritikers vor, das zur neuen Fibel für all jene werden soll, die wegen ihres politischen Engagements mit dem Staat und dem Rechtssystem zu tun bekommen oder einfach so in die Mühlen der Justiz gelangen. „Erste Rechts-Hilfe“ heißt der 383 Seiten-Schinken, der in jedem Demo-Gepäck zu schwer wäre, „Rechts- und Verhaltenstips im Umgang mit Polizei, Justiz und Geheimdiensten“.

Die Gesellschaftsanalyse kommt bei Gössner vor den Ratschlägen – und bietet dabei wenig Überraschendes, aber viel Wahres. Den „Deutschen Herbst“ 1977 macht Gössner als Wendepunkt und Quantensprung hin zum „Autoritären Sicherheitsstaat“ aus. Der Konflikt mit der Roten Armee Fraktion habe die Rechtfertigung für den Staat geliefert, seinen Sicherheitsapparat auszubauen. Danach beobachtet Gössner einen „Herbst ohne Ende“, denn in den 80er Jahren wurde das Anti-Terror-Sonderrechtssystem „noch erheblich verschärft und ausgedehnt“.

Auch zwischen 1990 und 1997 macht Gössner den Trend zum „Grundrechte-Zerfall und Demokratie-Abbau“ aus und bemüht Zahlenwerk, um Ungleichbehandlungen aufzuzeigen. Bundesweit standen beispielsweise in dieser Zeit 24 Rechtsterrorismus-Ermittlungsverfahren gegen 1.229 Linksterrorismus-Verfahren. Die verschiedenen Polizei- und Sicherheitseinheiten, so Gössner, werden bis heute weiter aufgerüstet.

Gössners Schluß: „Der 'Sicherheitsstaat' scheint in dem Maße aufgerüstet zu werden, wie der Sozialstaat abgetakelt wird.“

Gössner will Bewußtsein schaffen für einen Bereich, der noch vor zehn Jahren für die Politisierung der Linken konstituierend war, heute aber gerade noch ein paar Autonome hinter dem Ofen hervorlockt. Die Öffentlichkeit aber, auch die linke, hat sich längst an Sicherheitsnetz, Lauschangriff und Gen-Datei gewöhnt, bevor die neuen Strukturen rechtlich überhaupt abgesichert sind. Auch unter der neuen rot-grünen Bundesregierung entdeckt Gössner keinen hoff-nungsvollen Ansatz zu einer grundlegenden „Reform, Entbürokratisierung und Demokratisierung des Polizeiapparates“.

Der neue Ratgeber setzt auf konkrete Rechtsbelehrung mit politischem Unterton. In den acht Kapiteln gibt Gössner Tips für das Verhalten nach einer Verhaftung bei Demonstrationen, bei polizeilichen Alltagseinsätzen, bei Ordnungswidrigkeiten und Strafverfahren oder klärt über Datenschutz-Rechte auf. Nicht nur die vermummte Antifa ist sein Adressat: Das richtige Verhalten bei Verkehrskontrollen ist ebenso Thema wie das Recht auf Akteneinsicht oder der Umgang mit Bußgeldbescheiden.

Gössners Ratschläge lesen sich dabei oft wie die Litanei eines altgedienten Bürgerrechtlers. Bei Anwerbungsversuchen durch den Verfassungsschutz rät er zum Beispiel, Flugblätter zu verbreiten oder Pressekonferenzen zu veranstalten, für Demonstrationbesuche empfiehlt er wasserdichte Kleidung (“Wasserwerfer- und wetterfest“) und ausreichend Proviant. Doch bei der Nachwuchs-Beratung bleibt Gössner nicht stehen. Wie funktioniert eine Verfassungsbeschwerde? Wer hat Anspruch auf Schadensersatz? Wessen Telefon darf abgehört werden, und wie schützt man sich vor unliebsamen Schnüfflern? Wie verhält man sich als Zeuge von Polizeiübergriffen, als Probant eines Massen-Gentests oder als Betroffener einer Hausdurchsuchung? Welche Rechte haben Streikende?

Den Rechtsanwalt will Gössner nicht ersetzen. Für Menschen, die sich um einen „selbstbewußten Umgang mit dem 'Apparat'“ (Klappentext) bemühen, will das Buch ein politischer Ratgeber sein, der das Ohnmachts-Gefühl gegenüber den Behörden immerhin abschwächen kann. Gössner hat dafür nichts weiter getan, als sein langjähriges Engagement in Buchform zu gießen. Seine anhaltende Skeptik gegenüber den Überwachungsinstrumenten des Staates mag dem einen als Verfolgungswahn erscheinen – bis man sich selbst gegen solche Staatsmaßnahmen zur Wehr setzen will.

Christoph Dowe

Erste Rechts-Hilfe. Rechts- und Verhaltenstips im Umgang mit Polizei, Justiz und Geheimdiensten, Verlag Die Werkstatt, Göttingen 1999, ISBN 3-89533-243-7, Preis: 39,80 Mark