: Schnöselladen mit Sinn für Espresso und Schafgarbe
■ Vom Sitzen im Sommer: eine Tour der Mattigkeit durch Bremens Innenstadt von der Kunsthalle bis zum Hauptbahnhof mit Nikolai Wolff (Fotos) und Bukhard Straßmann (Text)
Merkwürdig: Kaum steigt in Bremen die Außentemperatur über 18 Grad plus, breitet sich im Volk eine umfassende Mattigkeit, ja Lahmheit, Muskelschwund, Beinlosigkeit aus. Die Menschen, kaum fällt das Tor ihrer Haustür ins Schloß, schaffen kaum noch drei, vier Meter zu Fuß – dann müssen sie sich setzen. Dem begegnet die Bremer Gastronomie, indem sie in der fraglichen Zeit Tische und Stühle auf jede verfügbare Wiese, auf jeden Quadratzentimeter Fußweg stellt. Es ist nicht übertrieben zu sagen, daß, wer im Bremer Sommer von Peterswerder zur Schlachte gelangen möchte, sich praktisch von Stuhl zu Stuhl wuchten kann. Gehen wir auf eine Tour der Erschöpfung!
Start ist im Café an der Kunsthalle. Ein traumhafter Platz, Seelage, rauschendes Gepappel, wehendes Kastaniengrün, im Hintergrund ein Pumpenhäuschen, rechts huschen auch am Tage Gespenster über die Altmannshöhe. Die beliebtesten Tische stehen gleich am Wasser, so daß nicht wenige Angeheiterte schon rücklings in die Wallgrabentunke gestürzt sind. Die Servicekräfte sind, wie es sich in einer Servicewüste gehört, schläfrig und plaudern gern mit anderen Servicekräften. Wenn man 45 Minuten auf sein Essen gewartet hat, kommt man sich schon etwas erholt vor.
Überraschend stößt man zweihundert Meter weiter Richtung Innenstadt hinter der Post Domsheide auf die Mensa der Hochschule für Künste, die nun Mensa Academica heißt. Sie hat auf dem ehemaligen Schulhof einen wahrhaftigen Biergarten aufgebaut mit Bäumen und Lichterkette! Schönes, aber auch bizarres Jungkünstlervolk treibt sich hier herum, und trotzdem kann man einigermaßen niveauvoll speisen. Man kann auch billig speisen, wenn man in den Keller geht und ein Studentengesicht aufsetzt.
So reden die Leut': Es gibt ja leider kein Ita-Eis in der City. Gibt es doch! An der Schnoortreppe bei der Straßenbahn liegt etwas zurückgesetzt, aber mit einladenden Bänken ausgestattet das Venezia da Roberto (Schokobecher 6 Mark). Man sitzt unter einer Linde. Die matten Kinder lecken ihr Eis und maulen, weil sie Langnese lieber mögen (Kinder sind blöd!). Die Alten schlürfen Espresso. Eine kleine Pause im großen Leben.
Wer es von hier zur Glocke schafft, erlebt ein Wunder. Innendrin in der Glocke ist ein Restaurant mit nicht unbedingt namhafter Küche, aber einem namhaften Garten: dem „Bibelgarten“. Draußen tost das Treiben, drinnen ist Oase. Wiese, leere Tische und lebende Kräuter mit Schildchen. Auf den Schildchen steht z.B. Knoblauch, 4 Mose 11, 5-6. Am Eingang liegt eine Bibel aus, der wir unter o.a. Stelle entnehmen, daß das Volk vor den Ohren des Herrn klagte, weil Fleisch knapp war. Das Volk dachte mit Gram an Ägypten, wo es Fisch gratis gab und – Knoblauch!
Man verläßt diesen Ort gehobener Stimmung und schafft es in einem Hupps bis zum Schmidt's auf dem Liebfrauenkirchhof. Das ist ein neuer Schnöselladen dicht beim ehemaligen Taxifahrerbrunnen, wo man sich aber trotzdem niederlassen sollte (Espresso 4 Mark incl. Tip). Denn hier ist bis 14 Uhr Blumenmarkt. und das Grün- und Buntzeug weht einem schier in die Espressotasse. Hier kann man – für einen Landbewohner seltsam zu hören – Schafgarbe im Pflanztopf kaufen! Außerdem scheint der Ort eine Art Laufsteg für gazellenartige Wesen zu sein, was einem manchmal schier den Atem nimmt.
Den Schluß der Tour bildet ein philosophischer Ort, der Bahnhof. Hier plumpst man in die Draußenstühle des Überseemuseums-Cafés, für die nichts spricht außer der Blick auf den neu entstandenen und im eigentlichen Sinne einzigen echten Platz Bremens. Hier läßt man seine Gedanken enteilen wie Eilzüge, in alle Richtungen. Und wer hier stürbe, weil die Ermattung keinen Aufschub mehr duldete, stürbe in Schönheit. Ja: in Grandezza!
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