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Segen der Redundanz

Trotz politischer Umbrüche bemerkenswert kontinuierlich: Zwei Biographien über den Dichter Peter Huchel  ■   Von Peter Walther

Kaum ein anderer Dichter ist von der Literaturwissenschaft in den vergangenen Jahren jenseits von Jubiläumsanlässen mit einer solchen Aufmerksamkeit bedacht worden wie Peter Huchel. Konferenzen und Publikationen zum Lyriker und langjährigen Chefredakteur von Sinn und Form, eine Ausstellung und schließlich die Einrichtung seines einstigen Wohnhauses als Literaturgedenkstätte haben zu einer regelrechten Huchel-Renaissance geführt. Die Fülle der Sekundärliteratur überwiegt inzwischen das schmale Werk des Poeten um ein Vielfaches. Bei allen guten Gründen für eine Beschäftigung mit dem Dichter mag es dennoch verwundern, daß nun gleich zwei umfangreiche, jeweils über sechshundert Seiten dicke Biographien erschienen sind.

Bereits 1995 als Universitätsdruck veröffentlicht und nun auch als Verlagstitel verfügbar ist die Arbeit Hub Nijssens zu Leben und Werk Huchels, die in einer schier erschlagenden Fülle Fakten zur Biographie des Dichters bietet. In mehr als 50 Archiven hat der Verfasser Auskunft gesucht, zahlreiche Sekundärquellen ausgewertet und Zeitgenossen für seine umfassende Dokumentation des Huchelschen Lebenswegs befragt.

Genealogische Erkundungen bis 1546

Bereits 1925 veröffentlicht der Student Helmut Huchel, der wenig später den Vornamen Peter annimmt, erste Gedichte. Prägend für sein Leben und seine Dichtung war die Zeit, die er als Kind auf dem Hof seines Großvaters im märkischen Alt-Langerwisch zubrachte. 1932 erhält er den Lyrikpreis der Zeitschrift Kolonne für eine Auswahl seiner Gedichte. Bei Machtantritt der Nazis zieht er einen bereits druckfertigen Gedichtband wieder zurück. Er hält sich und die Familie mit dem Verfassen von Hörspielen über Wasser. Das Kriegsende erlebt er als Soldat in der Nähe von Berlin in russischer Gefangenschaft. Mit zahlreichen bisher unbekannten Fakten schildert Nijssen die Tätigkeit Huchels nach seiner Entlassung aus der sowjetischen Kriegsgefangenschaft beim Aufbau des Berliner Rundfunks. Als 1949 die Zeitschrift Sinn und Form gegründet wurde, trug Becher dem Lyriker Peter Huchel die Chefredaktion an. Da unter der Chefredaktion von Peter Huchel nicht nur die zeitgenössische deutsche Literatur, sondern auch die Weltliteratur, unabhängig von ideologischen Prägungen, ihren Platz in der Zeitschrift gefunden hatte, kam Huchel bald in Konflikt mit der Kulturpolitik der SED. 1962 – die gesamtdeutsche Ausrichtung der Zeitschrift hatte sich in den Augen der Funktionäre überlebt – wurde er endgültig aus dem Amt gedrängt.

Gemeinsam mit seiner Familie lebte der Dichter über neun Jahr lang zurückgezogen und überwacht in Wilhelmshorst, bis er 1971 – inzwischen zum Politikum geworden – ausreisen konnte. Nach einem Intermezzo in der Villa Massimo siedelte die Familie 1972 nach Staufen im Breisgau über, wo Huchel 1981 verstarb.

Nijssens akribischer Recherche verdanken wir ein nahezu lückenloses Bild vom Werdegang des Dichters. Kein programmatischer Ehrgeiz hat den Autor getrieben, sondern der Anspruch größtmöglicher Genauigkeit. Bis ins Jahr 1546 reichen die Ergebnisse der genealogischen Erkundungen Nijssens zurück, in puncto Ausführlichkeit ist diese Biographie nicht zu schlagen. Oder doch?

Noch jemand hat sich die Mühe gemacht, in den vergangenen fünfzehn Jahren die Lebensspuren Peter Huchels soweit wie möglich zu rekonstruieren – der britische Germanist Stephen Parker. Sein Buch erschien jüngst unter dem Titel „Peter Huchel. A Literary Life in 20th-Century Germany“ in englischer Sprache. So haben wir jetzt zwei Bücher – mit gleichem Umfang, in beinahe demselben Format, mit teilweise gleichlautenden Kapitelüberschriften und, was die Fakten betrifft, mit nahezu identischem Inhalt. Was steckt hinter diesem Aufwand? Hier überlappen sich private und politische Konflikten, die von den nachgeborenen Forschern stellvertretend ausgetragen werden. Huchel verließ nach Krieg und Gefangenschaft seine Frau Dora und lebte seit 1946 bis zu seinem Tod 1981 mit Monica Huchel zusammen. Dora bezichtigte in ihren unveröffentlichten Erinnerungen ihren einstigen Ehemann, er würde seine Biographie in zahlreichen Punkten schönfärben. Parker hat Dora Huchel in ihren letzten Lebensjahren kennengelernt.

Gereizte Atmosphäre unter den Biographen

Er übernimmt in großen Teilen deren Angaben und Argumente und sieht seine Aufgabe darin, belegbare Tatsachen von nachträglicher Stilisierung und poetischer Überhöhung in der Lebensgeschichte Huchels zu trennen. Neben einer Reihe von Detailfragen ergeben sich Differenzen zu Nijssens Biographie des Dichters vor allem in der grundsätzlichen Bewertung: War Huchel lediglich Opfer der Geschichte, oder ist seine Biographie bis zum Bruch mit der DDR nicht von einer bemerkenswerten Kontinuität über die politischen Umbrüche hinweg geprägt? Parker kommt zu einer differenzierteren Beurteilung: „Schweijk-like, he [Huchel] sought to evade unacceptable authority by heeding it as little as possible, while doing enough in an reasonably conscientious fashion to get by. In this way, he could save his energies for things that really mattered to him personally.“

Leider bleibt Parker jedoch oft an der Oberfläche der Dinge haften. Daß Huchel etwa in den Nachkriegsfragebögen die Freunde von der politischen Linken wie Bloch und Kantorowicz betont, während er die anderen „vergißt“, muß nur den verwundern, dem der tiefere Sinn stalinistischer „Kaderunterlagen“ als potentielle Anklageschriften nicht geläufig ist. Befremdlich wirkt auch die häufige und beinahe vorwurfsvolle Erwähnung des Umstands, Huchel hätte viel seiner attraktiven Erscheinung und seinem Charme zu verdanken gehabt. „Reality was somewhat different“ – dies im Einzelfall herausgefunden und nach den Motiven für die Differenz gefragt zu haben ist das Verdienst von Parker.

So erfahren wir, daß Huchel seine Isolation in der DDR Walter Ulbricht persönlich zu verdanken hat. Der SED-Chef hatte auf einem Blatt, das der Autor ausfindig gemacht hat, handschriftlich notiert, wie mit dem Quertreiber zu verfahren sei. Ulbricht wollte Huchel keineswegs ausreisen lassen, sondern ihn wieder in den Kulturbetrieb der DDR einbinden, zum Beispiel mit Publikationsmöglichkeiten im Aufbau-Verlag. Dies läßt die wiederholten Bemühungen des damaligen Verlagsleiters Klaus Gysi um Peter Huchel in einem neuen Licht erscheinen.

Daß die wenigen Differenzen bei der Angabe von biographischen Daten von Parker und Nijssen gleich zu Glaubensfragen stilisiert werden, charakterisiert die gereizte Atmosphäre, in der die wissenschaftliche Auseinandersetzung stattfindet. Zudem bezeichnet Parker sein Buch auf dem Umschlag fälschlich als „first full- length literary biographie in any language devotet to Peter Huchel“.

Weder Nijssens 1995 publizierte und mehrfach rezensierte Huchel-Biographie noch die ausführliche poetologische Studie von Christof Siemes finden bei Parker Erwähnung, später erschienene Literatur wird dagegen reihenweise zitiert. Freilich ließe sich dieser Widerspruch mit derselben Schärfe ausleuchten, mit der Parker die Schnurren Huchels auf ihren Faktengehalt abklopft, doch mit welchem Gewinn? Nach über 1.200 Seiten Fakten in beiden Büchern bleibt das Bild vom Dichter Peter Huchel eigenartig unscharf. „Das Leben ist ein Pensum zum Abarbeiten“, heißt es bei Schopenhauer. Schön wär's – jedenfalls für Biographen. Hub Nijssen: „Der heimliche König. Leben und Werk von Peter Huchel“. Königshausen & Neumann, Würzburg 1998, 625 Seiten, 86 DM Stephen Parker: „Peter Huchel. A Literary Life in 20th-Century Germany“. Peter Lang, Bern 1998, 618 Seiten, 110 DM

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