Gericht: Es gilt das abgehörte Wort

■  Karlsruher Verfassungsrichter lassen verdachtslose Überwachung von Auslandsverbindungen zu. Die Weitergabe von Abhördaten durch den Bundesnachrichtendienst wird jedoch erschwert

Karlsruhe (taz) – Der Bundesnachrichtendienst (BND) darf weiterhin ohne Verdacht Auslandsverbindungen von Bundesbürgern abhören. Gestern billigte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) im Grundsatz die 1994 erweiterten Lauschbefugnisse des BND. Gleichzeitig erklärte es aber Teile des sogenannten G 10-Gesetzes, das die Überwachung durch den Auslandsgeheimdienst erlaubt, für verfassungswidrig und verlangte Nachbesserungen zum Schutz des Fernmeldegeheimnisses und der Pressefreiheit. Gegen das Gesetz hatten auch die taz und ihr Italien-Korrespondent Werner Raith Verfassungsbeschwerde eingelegt.

Bis Mitte des Jahres 2001 muß der Gesetzgeber nun auf verfassungsgemäße Füße stellen, was 1994 durch das „Verbrechensbekämpfungsgesetz“ eingeführt wurde. Dieses gestattet, daß der BND nicht leitungsgebundene, also vor allem satellitengestützte Fernmeldeverbindungen nach dem Zufallsprinzip abhört, aufzeichnet und verwertet. Durfte dieser „Staubsauger im Äther“ vor 1994 nur eingesetzt werden, um die Gefahr eines Angriffskrieges aufzudecken, kann jetzt auch nach Hinweisen auf terroristische Anschläge, die Verbreitung von Kriegswaffen, organisierten Drogenhandel und Geldwäsche gefahndet werden. Diese Ausweitung sei aber angesichts der vermehrten organisierten Kriminalität hinzunehmen. Sie stellten aber klar, daß auch dieser Straftatenkatalog Grenzen unterliegt. „Nicht verhältnismäßig“ ist es nach dem Urteil, daß Pullach auch Anzeichen für eine einfache Geldfälschung im Ausland nachgehen kann, wie es das Gesetz vorgesehen hatte. Die Abhöraktionen griffen „schwerwiegend“ in das Grundrecht des Fernmeldegeheimnisses ein. Das sei nur gerechtfertigt, wenn „hochrangige Rechtsgüter“ auf dem Spiel stünden. Bei der Geldfälschung sei das allenfalls denkbar, wenn die Geldwertstabilität auf dem Spiel stünde. Die Einschränkung greift allerdings erst auf der Ebene der Datenverwertung.

Für die Lauschaktion selbst gibt der Geheimdienst vorher genehmigte Suchbegriffe ein. Der Recorder springt an, wenn eines dieser Wörter fällt. Die umfangreichen Verwertungsbefugnisse des Dienstes schränkte das BVerfG teilweise ein. Es erlaubte, daß „Zufallsfunde“ an Strafverfolgungsbehörden weitergegeben werden, auch wenn sie weder Straftaten betreffen, nach denen der BND fahnden darf, noch die Behörden selbst abhören dürften.

Der Umfang der Weitergabe ging den Richtern aber zu weit. Nach dem Gesetz genügen bloße Anhaltspunkte für eine ganze Reihe von Straftaten, darunter auch vergleichsweise leichte Taten wie der Subventionsbetrug oder das Fälschen von Scheckvordrucken. Außerdem reicht es aus, wenn solche Delikte nur geplant werden. An einem dieser Kriterien muß der Gesetzgeber jetzt nachbessern, nach dem Grundsatz: Je leichter die Tat, desto schwerer muß der Verdacht sein.

Mehr Transparenz forderten die Richter für den Betroffenen wie auch für die staatlichen Überwachungsorgane. Der Belauschte mußte bisher nur benachrichtigt werden, wenn seine Daten noch nach drei Monaten in Pullach lagen – was nach eigenen Angaben des BND bisher noch nie der Fall war. Diese rein zeitliche Grenze reichte Karlsruhe nicht aus. Statt dessen soll nun das „Opfer“ der Lauschaktion auch informiert werden, wenn seine Daten verwendet werden – solange der Zweck der Aktion nicht gefährdet wird.

Die Reaktionen auf das Urteil waren geteilt. BND-Präsident August Hanning freute sich, daß Karlsruhe „der Verantwortung der Bundesrepublik in der internationalen Staatengemeinschaft Rechnung getragen“ hätte. Auch eine Vertreterin des Innenministeriums lobte, daß nun eine verfassungsrechtlich abgesicherte, klare Rechtsgrundlage geschaffen werden könne. Dagegen sah der klagende Hamburger Strafrechtsexperte Michael Köhler eine Beförderung des BND zur „Super-Polizeibehörde“. Alle Sicherungen griffen erst auf der zweiten Ebene. Das Lauschen selbst habe das BVerfG unbeanstandet gelassen. Auch taz-Geschäftsführer Karl-Heinz Ruch kritisierte, daß künftig kein Informant brisantes Material aufs Fax legen würde, um Journalisten zu informieren. Dagegen zeigte sich taz-Korrespondent Raith zufrieden. „Wenn sie die Mittel zum Abhören haben, setzten sie sie ohnehin ein“, befand er. Wichtiger schien ihm, daß das Gericht klargestellt habe, daß es Grenzen gebe. Auch daß er Informanten in Zukunft – wenn auch nachträglich – von Lauschaktionen unterrichten könne, schien ihm die Klage wert. Gudula Geuther