Immer solide, immer parteilich

Von „Frauen-Fragen“ zu „frau-tv“: Inge von Bönninghausen, Erfinderin des Frauenfernsehens, geht nach 20 Jahren im Dienst der langsam entschlafenen Frauenbewegung in den Ruhestand. Ein Porträt    ■ von Heide Oestreich

Der Vorspann ist vorüber. Inge von Bönninghausen moderiert den ersten Beitrag an: ein Porträt der Schauspielerin Shirley MacLaine. Bedächtig und akzentuiert, mit bedeutungsvollen Pausen zum Einatmen. Locker wirkt es nicht gerade, „Frau-tv“, das frauenpolitische Magazin im dritten Programm des WDR. Aber Shirley MacLaine war eine gute Themenwahl. Bei der Oscar-Verleihung 1984 hatte sie Jack Nicholson passendeKomplimente gemacht: Sie bewundere, daß ihm sein Alter völlig egal sei – die „kahlen Stellen hier oben“ und der „wundervolle Bauch“.

An drei Donnerstagen im Monat will „Frau-tv“ das Sendegebiet des WDR mit einem „kritisch-feministischen Blick“ auf aktuelle Frauenthemen versorgen. Inge von Bönninghausen war immer dabei: 1980 hat sie die „erste Frauensendung im Abendprogramm der ARD“ erfunden und sie als Redakteurin und Moderatorin durch zwei Neukonzeptionierungen gesteuert. Heute endet die Dienstzeit der 61jährigen nach 20 Jahren Fernsehen im Sinne der entschlafenen Frauenbewegung: immer solide, immer parteilich. Schwierig, denn im Dauerkampf gegen das Patriarchat sind die Fronten erstarrt. Der „kritisch-feministische Blick“ könne sich ruhig mal von Diskriminierten und Heldinnen lösen und die eigene „freudlos gealterte“ Klientel in Augenschein nehmen, meckerte etwa der Branchendienst epd medien.

Da hält Bönninghausens Vorgesetzter gegen: „Feministinnen“, läßt der WDR-Kulturchef Michael Schmid-Ospach wissen, stelle man sich zwar gemeinhin „blaustrümpfig, schmallippig, mit schlechter Figur und fanatisiertem Blick“ vor, „Bönni“ aber sei ganz anders. Er scheint immer noch nicht fassen zu können, daß seine Frauenredakteurin lackierte Fingernägel hat und Jil Sander trägt.

Ja, die Männer. Ihre größte Enttäuschung sei, daß die 1999 immer noch nichts begriffen hätten, erregt sich Inge von Bönninghausen. Aus dem Stegreif kann sie sich über Männer ereifern, die Aktien „sexy“ nennen und ihr die Hand küssen wollen. „Aber Frau von Bönninghausen, was haben Sie denn plötzlich, Sie sind doch sonst so nett“, werde ihr bei programmatischen Debatten gerne entgegengehalten und „Machen Sie sich doch das Leben nicht so schwer!“ Wer hier wem das Leben schwer machte, war sonnenklar: Inge von Bönninghausen gründete den „Journalistinnenbund“ mit, handelte Frauenförderpläne und Frauenbeauftragte beim WDR aus, noch bevor sie gesetzlich vorgeschrieben wurden. „Mit Strenge und zunehmendem Charme“ erlebte Schmid-Ospach sie bei solchen immer wiederkehrenden Verhandlungen. Erst nach ihrem lesbischen Coming-out lernte Bönninghausen auch die Vorurteile der Hetera-Schwestern über Lesben kennen: Auf einer der zahllosen Frauenkonferenzen Anfang der achtziger Jahre rief sie denen gutgelaunt ins Mikrofon: „Ätsch, ich hab' schöne Beine und hohe Schuhe an!“

Mit der professionell-freundlichen Offenheit, mit der sie auch in die Kamera blickt, erzählt Inge von Bönninghausen, wie aus der höheren Tochter aus großbürgerlichem Hause eine lesbische Feministin wurde, die auf kaum einem frauenpolitischen Podium fehlt. Selten läßt sie dabei ihr Gegenüber aus den Augen. Nein, eine Männerfresserin sieht anders aus, hier sitzt die WDR-kompatible Arbeitsversion der Feministin, beharrlich, fleißig, dickköpfig.

Die ehrgeizige Germanistikstudentin hatte ihr feministisches Schlüsselerlebnis Ende der Sechziger in Berlin, bezeichnenderweise im Oberseminar: „Ich hatte einen Eiskaffee für die ganze Gruppe gemacht – und dann konnte ich die Fragen nicht beantworten.“ Sie hatte keine Zeit gehabt, sich vorzubereiten. Gekränkter Ehrgeiz und das Patriarchat prallten aufeinander. Sie erkannte die Doppelbotschaft aus dem Elternhaus wieder: Da ein Stammhalter drei Mädchen lang hatte auf sich warten lassen, war eben die Erstgeborene zur Brillianz verdonnert worden – ihre Magna-cum-laude-Dissertation kommentierte der Vater dann mit: „Toll, aber vergiß nicht: Das Glück der Frau liegt in der Familie.“

Darauf konnte Inge von Bönninghausen leichten Herzens verzichten: Sie verliebte sich in eine Frau. Und wurde Journalistin. Aber erst, als sich 1980 die wilde Phase der Frauenbewegung gelegt hatte, konnte sie, damals Moderatorin einer Erziehungssendung, den WDR dazu bewegen, sich einmal im Monat mit „Frauen-Fragen“ ins Abendprogramm zu wagen. In der ersten Sendung schwenkte eine geduldige Kamera über die Gesichter von Aktivistinnen autonomer Frauengruppen, die in Schreibwerkstätten und Fotokursen ihre Gefühle erforschten. Bald aber besann sich die Sendung auf ihre Zielgruppe und deren Alltag, problematisierte die „Pille“, brach aber auch heute kaum mehr vorstellbare Fernsehtabus: 1982 tauchten in den „Frauen-Fragen“ zum erstmals Lesben im Fernsehen auf, 1984 der erste Bericht über sexuellen Mißbrauch. Die Tatverdächtigen erklagten damals eine einstweilige Verfügung, ein Piepton überblendete die Worte Vater, Onkel, Stiefvater.

Mitte der Achtziger wurden Frauen-Fragen schließlich allerorten gestellt. Nun fanden immer öfter Themen wie Hüte und Hormone, Mode und Make-up in die Sendung – aber als „Schönheitsterror“. Seither hielt die Sendung den Spagat zwischen Öko-Mode, erster Liebe und afrikanischen Frauenkooperativen. Immer pc, oft holzschnittartig, manchmal einfach gnadenlos: Zur Weltfrauenkonferenz in Peking durften 1995 die Verdammten dieser Erde ihr Pathos gänzlich ungefiltert in den Äther schicken. Die Einschaltquote schwankte wild: War frau „allein zwischen Ärzten“ oder „bisexuell“, stieg sie auf 8 Prozent, für „Frauen in Afghanistan“ interessierten sich nur knapp 2 Prozent.

1997 holte die Magazinitis dann auch das schwerfällige Format der „Frauen-Fragen“ ein: „Frau-tv“ ist kürzer und schneller geworden. Statt 45 Minuten „Vergewaltigung in der Ehe“ mit betulich-fiktivem Schauspielerinnen-Einsatz sind nun zwei bis drei Beiträge zu verschiedenen, tagesaktuellen Themen zu sehen: Pille für den Mann, Quotierung, Asylrecht. „Die ,Tagesthemen‘ bringen die Scheinselbständigkeit, aber wir sehen sie aus der Frauenperspektive“, erklärt von Bönninghausen. Dazu gibt es Porträts – leider zu oft von der Sorte: Heldinnen der Menschlichkeit – und Satire. Der Pragmatismus, den die Kürze erzwingt, läßt für ausufernde Befindlichkeiten keinen Platz mehr. Aber die geballte Ladung Frauenengagement läßt einen zeitweise unwillkürlich nach Frauen Ausschau halten, die ihre Männer quälen oder sich gegenseitig die Augen auskratzen.

Von den diskriminierenden Strukturen, und Sätzen, die mit „Immer noch“ anfangen, mag die jüngere Generation nichts mehr hören, wird Bönninghausen oft entgegengehalten. In den Augen einer Gesellschaftkritikerin mit Blick für strukturelle Gewalt natürlich ein Zeichen des „backlash“. Doch im letzten Jahr moderierte sie im Wechsel mit der halb so alten Lisa Ortgies: Deren blondgelockte Profi-Fröhlichkeit sieht tatsächlich nach „junge Frau von heute“ aus, die nicht anklagt und nur betroffen ist, wenn die eigene Karriere auf dem Spiel steht. Für die der Feministinnen-Slogan „Wir wollen die Hälfte“ allenfalls bedeutet: die Hälfte der Jobs und Frauen in die Bundeswehr. Universal kompatibel und sicher keine feministische Nervensäge.

„Und was machen die dann mit ihrem BWL-Studium?“ fragt Bönninghausen streng. „Wo wollen die denn hin?“ Ihr Ziel war immer sonnenklar: „Nicht die Hälfte des vergifteten Kuchens, sondern ein neues Rezept für den Kuchen!“ Die Beharrlichkeit, mit der sie die Zutaten zusammentrug, hat nicht nur sie selber Nerven gekostet. Trotzdem wäre es schade, wenn sie nun alle mit nach Hause nähme.