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Projektionsfläche Balkan

■  Krieg um den Balkan: In zwei Büchern passt die radikale Linke der alten Bundesrepublik die Wirklichkeit ihren Vorstellungen an – und feiert vor allem ihre eigene Selbstbezogenheit

Wer sich schon länger mit dem Balkan beschäftigt, wird sich über die beiden neusten linken Beiträge zum Thema ärgern: Fragen wie die, ob sich die Unterdrückung der Kosovo-Albaner oder das Massaker von Srebrenica denn überhaupt zugetragen haben, sind nicht nur einfältig, sondern geschmacklos. Genau diese Fragen aber ziehen sich wie rote Fäden durch Jürgen Elsässers Textsammlung „Nie wieder Krieg ohne uns“ und den von Klaus Bittermann herausgegebenen Band „Wie Dr. Fischer lernte, die Bombe zu lieben“.

Hinzu kommt der sarkastisch-arrogante Stil einiger der 29 Autoren. Für Reporter, die schon einmal ein Massengrab gesehen haben, ist ein Beitrag wie „Gestank, Chaos, Grauen“ von Hans Pankow bei Bittermann beleidigend – behauptet der Autor doch implizit, er könne mit den Arbeitsproblemen von Journalisten in Kriegsgebieten besser umgehen als KollegInnen, die dort zum Teil jahrelang arbeiten. Das ist frech – zumal Pankow bisher auf den balkanischen Kriegsschauplätzen nicht eben mit Präsenz geglänzt hat.

Südosteuropa-Spezialisten sind die Autoren bei Bittermann und Elsässer nicht. Das ist auch gar nicht nötig: Texte wie Horst Tomayers „Natokinderfriedensgedicht“ etwa beschäftigt sich gar nicht mit dem Balkan, sondern mit westdeutschen Boulevardzeitungen. Im Klartext: mit uns.

Für die ehemals westdeutsche linke Szene, aus der Bittermann, Elsässer und die meisten ihrer Autoren stammen, ist diese Selbstbezogenheit symptomatisch: Osteuropa stand hier nie im Zentrum des Interesses – und der Balkan schon gar nicht. Zwar hinderten keine Reisebeschränkungen am Besuch, dafür störte der Mangel an revolutionärer Begeisterung, die mensch aus dem real existierenden Gulaschsozialismus mit nach Hause brachte. Dort, im Westen, spielte die Musik das immer gleiche Lied: Links ist gut, rechts schlecht, der Westen aggressiv und Deutschland immer noch faschistisch.

Der Zusammenbruch des Ostblocks erwischte die West-Linke dementsprechend unerwartet. 1991 hatte konkret-Herausgeber Hermann L. Gremliza seine Weigerung, sich mit den neuen Tatsachen auseinander zu setzen, zusammengefasst: Mit dem Realsozialismus sei „der Versuch, aus Primaten Menschen zu machen“ gescheitert. Ein Satz, der allen, die Rumänien oder Albanien vor 1989 auch nur ansatzweise kannten, kalte Schauer über den Rücken jagt.

Das tut auch die Art, mit der in beiden Büchern mit jenen umgegangen wird, die heute das schwarz-weiße linke Weltbild stören. Bereits im 1995 von Bittermann herausgegebenen „Serbien muß sterbien“ kamen die muslimischen Bosnier extrem schlecht weg. Die Massaker und Internierungslager im serbischen Teil des Landes wurden als Fakes geoutet. Da wundert es nicht, wenn Bittermanns Autoren vier Jahre später auch mit den – mehrheitlich muslimischen – AlbanerInnen ihre Probleme haben. Ebenso wie bei Elsässer erscheint die UÇK als eine Bande von drogendealenden, faschistoid-stalinistischen Mullahs, die aus unerfindlichen Gründen den multikulturellen serbischen Staat angreift. Dass die Religionen im Kosovo für die Politik u. a. deswegen so wenig bedeuten, weil der zentrale Satz des albanischen Nationalismus besagt, dass „die Religion des Albaners das Albanertum“ ist, wissen westdeutsche Linke offenbar nicht. Genauso wenig wie, dass es auch katholische und orthodoxe Albaner gibt.

Aber es geht nicht um Wissen – es geht darum, die Schuld der ewig bösen kapitalistischen Mächte des Westens am Krieg gegen das friedliebende Serbien Slobodan Miloševic' zu enthüllen. Da können Detailkenntnisse nur stören – was zuweilen komische Folgen hat. So weiß Bittermann-Autor Erich Schmidt-Eeneboom offenbar nicht, dass nach dem albanischen Nationalhelden Georg Kastriota „Skanderbeg“ nicht nur „faschistische Milizen aus dem Zweiten Weltkrieg“ (es war eine SS-Division!) und der „Albanerclub in Ludwigshafen“, sondern auch der größte Platz Tiranas und einer der bekanntesten Kognaks Tito-Jugoslawiens benannt wurden.

Die ideologische Brille sitzt fest – und so wird jede aktuelle politische Frage nach den Maßstäben der dreißiger Jahre beurteilt. Dass „Dr. Fischer“ trotzdem besser ausfällt als Elsässers Buch, liegt in erster Linie daran, dass Bittermann mit Ernst-Otto Czempiel und Ernst Lohoff immerhin zwei Autoren aufgenommen hat, die sich ernsthaft mit dem Thema auseinander setzen. Czempiel, Politik-Professor, sieht die Nato auf dem Weg zum Weltpolizisten, Lohoff, Politökonom, verortet den Kern des Konflikts in den kapitalistischen Zentren des Westens und geißelt deren Selbstwahrnehmung. Man mag die Einschätzungen teilen oder nicht – beide Texte verdienen gelesen zu werden.

Und noch an einem weiteren Punkt ist „Dr. Fischer“ überzeugender als „Nie wieder Krieg ohne uns“. Elsässers These, Deutschland habe den Westen inklusive der USA in den Krieg geritten, ist einfach zu verwegen. Da ist Bittermanns Buhmann – die USA – schon glaubwürdiger. Letztendlich aber liegt der Unterschied in der Nuance, nicht im Prinzip. In beiden Büchern darf der Krieg nicht dort stattfinden, wo er nun mal stattfand.

Der Balkan interessiert nicht, und deshalb kommen Serben und Albaner auch nur als Stellvertreter vor: Erstere sind US-Handlanger, vom BND ausgebildete Drogendealer und anderweitige Kriminelle; Letztere Verteidiger hehrer internationaler Rechtsprinzipien wie der staatlichen Souveränität Miloševic-Jugoslawiens. Als Akteure werden beide unterschlagen – genauso wie die Tatsache, dass Jugoslawien seit 1991 drei Angriffskriege geführt, tausende seiner eigenen (Ex-)Staatsbürger getötet und Millionen zu Flüchtlingen gemacht hat. Rüdiger Rossig ‚/B‘Klaus Bittermann (Hrsg.): „Wie Dr. Fischer lernte, die Bombe zu lieben“. Edition Tiamat, Berlin 1999, 28 DM Jürgen Elsässer: „Nie wieder Krieg ohne uns“. konkret, Hamburg 1999, 22,80 DM

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