: Tarifgrenze teilt Büros
Ungleicher Lohn zwischen West- und Ostberlin für Beamte und Angestellte bei der Bundesregierung ■ Von Annette Rollmann
Das Leben ist ungerecht. Besonders wenn es um Geld geht. „Egal ob man aus dem Westen oder dem Osten kommt: Das Reglement der ungleichen Bezahlung findet jeder im Haus absurd“, sagt der Sprecher des Bundesjustizministeriums, Christian Arns. Je nachdem, ob ein Mitarbeiter im gerade bezogenen Sitz in Mitte oder in Kreuzberg für Ministerin Herta Däubler-Gmelin der bundesdeutschen Gesetzgebung auf die Sprünge hilft, erhält er ein anderes Gehalt. Arns: „Gleichen Lohn für gleiche Arbeit hat unsere Chefin schon in den siebziger Jahren gefordert. Damals ging es um Frauen, heute um den Osten.“
Das Bundesjustizministerium hat in Berlin zur Zeit zwei Standorte. Der Hauptsitz liegt im ehemaligen Ostteil in der Jerusalemer Straße, der andere Dienstsitz befindet sich im früheren Westbezirk Kreuzberg. Erarbeitet man von Kreuzberg aus Vorlagen für das Parlament, ist das dem Bund grundsätzlich 13,5 Prozent mehr Bruttolohn wert, als wenn man als Ostler in der Jerusalemer Straße die gleiche Arbeit tut. Dort geht die unterschiedliche Besoldung, die „Tarifgrenze“, bisweilen durch einen Büroraum. Kommt eine Sekretärin, die in der Jerusalemer Straße arbeitet, aus dem Westen, erhält sie 100 Prozent Lohn. Stammt sie aus dem Osten und hat weniger als ein Jahr in der Verwaltung an einem westlichen Dienstsitz in Lohn und Brot gestanden, erhält sie eben nur 86,5 Prozent.
Dafür muss sie obendrein länger arbeiten: Wer nach Westtarif bezahlt wird, hat eine Wochenarbeitszeit von 38,5 Stunden. Die Mitarbeiter aus dem Osten müssen 40 Stunden malochen. Die Trennung zwischen Ost und West im gleichen Flur ist bisweilen schwer zu ertragen: Arns: „Aber alle bemühen sich darum, es nicht dem nächsten West-Kollegen anzulasten.“
Bei den Bundesbehörden sind 1.800 Beamte und 7.100 Arbeitnehmer von den Nachteilen betroffen, denn die meisten Ministerien werden ihren Sitz im ehemaligen Ostberlin haben.
Christian Arns hat den kurvenreichen Tarifdschungel am eigenen Leib zu spüren bekommen. Zunächst war er Redakteur bei einer Westberliner Tageszeitung und ging vor ein paar Jahren nach Magdeburg als Sprecher des dortigen Justizministeriums. Bezahlung: Ost. Begründung: Er kommt zwar aus dem Westen, ist aber für die Verwaltung eine Neueinstellung. Somit stehe ihm wegen des ostdeutschen Standortes nur Ostlohn zu.
Schließlich wechselte Arns zum Bundesjustizministerium nach Bonn. Da die ehemalige Bundeshauptstadt nun mal in Westdeutschland liegt, bekommt er Westgehalt und kann auch jetzt, obwohl er in der Ostberliner Jerusalemer Straße sein Büro hat, weiter Westgehalt beziehen. Begründung: Er ist ein Westler. Wäre Arns direkt von Magdeburg nach Ostberlin gewechselt, hätte er nur Anrecht auf Ostgehalt gehabt.
„Viel schlimmer als das geringere Geld im Portemonnaie, ist das Gefühl, den Kollegen aus dem Westen nicht gleichwertig zu sein“, beschreibt der Bundesvorsitzende des Verbandes der obersten und oberen Bundesbehörden beim Deutschen Beamtenbund, Rainer Schwierczinski, das Dilemma mit der „inneren“ Wiedervereinigung.
Konkret geht es zum Beispiel bei einem verheirateten Regierungsrat um 800 Mark brutto im Monat. Netto beträgt die Einkommensdifferenz rund 300 Mark, denn wer weniger verdient, zahlt weniger Steuern. Zudem müssten die Westangestellten einen Teil ihrer Zusatzversorgung, eine Rentenaufstockung, anteilig mitfinanzieren, sagt Schwierczinski. Bei Angestellten mit Ostgehalt übernehme diese Zusatzversorgung der Arbeitgeber. „Wie lange dieser ungerechte Zustand noch andauert, ist schwer zu sagen“, sagt der Bundesvorsitzende Schwierczinski. „Wir kämpfen.“
Die Bundesregierung schadet sich mit dem System der ungleichen Entlohnung auch selbst: Sie wirbt sich die eigenen Leute ab. „Es entsteht eine ungute Konkurrenzsituation“, weiß Schwierczinski. Ein Anwärter für ein Bundesministerium ginge in Zukunft selbstverständlich lieber ins Bundesinnenministerium, das am Spreebogen im westlichen Moabit logiert, als beispielsweise zum Bundesverkehrsministerium, das in der Krausenstraße in Mitte seinen vorläufigen Dienstsitz bezogen hat.
„Natürlich sorgt das unter den Mitarbeitern für schlechte Stimmung“, sagt eine Sekretärin des Verkehrsministeriums, die aus Ostberlin stammt. „Es stößt uns immer wieder auf, dass es fast zehn Jahre nach der Wiedervereinigung noch solche Ungerechtigkeiten gibt.“
Der Senat von Berlin hat, eben um diese schlechte Stimmung zu vermeiden, schon vor Jahren in seinem Bereich die unterschiedliche Besoldung abgeschafft. Der Bundestag war klug genug, Missgunst gar nicht erst aufkommen zu lassen und hat eine Lex Reichstag erlassen. Viele neue Büros der Mitarbeiter von Abgeordneten sowie der Bundestagsverwaltung liegen im ehemaligen Ostteil der Stadt. Der Reichstag selbst hingegen befindet sich im Westen. Offizieller Dienstsitz der Bundestagsverwaltung und der Mitarbeiter ist daher nicht die Büroadresse, sondern das Reichstagsgebäude: Besoldung für alle: West.
„Wie lange dieser ungerechte Zustand noch andauert, ist schwer zu sagen. Wir kämpfen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen