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Wirtschaft, küss mich, ich bin der strategische Frühling

■  Grüne Realos wollen mit der Wirtschaft zu „Innovationsbündnissen“ fusionieren. Industrie ist vorsichtig optimistisch: Lasst den Worten Taten folgen! Fundis sehen das anders, Trittins Sprecher sieht nichts Neues

Berlin (taz) – Konflikte mit der Wirtschaft über Umweltfragen sind out, die Konsenssuche nach Lösungen mit ihr ist in. Diese These für eine neue strategische Umweltpolitik der Grünen stellten Reinhard Loske, umweltpolitischer Fraktionssprecher, und Vorstandssprecherin Gunda Röstel gestern in einem Diskussionspapier vor. „Wir brauchen Innovationsbündnisse“, forderte Loske neue Allianzen in der Umweltpolitik. Als Beispiele nannte er das kürzlich gegründete Bündnis der Umweltverbände mit dem ADAC und der Automobilindustrie für die Entgiftung von Benzin.

Vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) wurde das Kooperationsangebot der Grünen schon vorsichtig begrüßt: „Es scheint eine Umorientierung einzuleiten“, sagte BDI-Sprecher Andreas von der Hagen. „Wir stellen fest, dass die bisherigen Taten der Umweltpolitik der rot-grünen Regierung anders gewesen sind als das, was wir heute an Worten vernehmen. Auf dem Wege könnte man weitermachen.“

Unterzeichnet ist das parteiintern als Loske-Papier bekannte Dokument von 19 weiteren Bündnisgrünen aus Bund, Ländern und Kommunen. Es fehlen allerdings die beiden wichtigsten Namen aus den eigenen Reihen: Bundesumweltminister Jürgen Trittin und Landesumweltministerin Bärbel Höhn aus Nordrhein-Westfalen. Es unterzeichneten fast nur Grüne des realpolitischen Flügels.

Die „Unzufriedenheit über die Umweltpolitik der Regierung“ sei ein Warnsignal, das die Grünen nicht übersehen dürften, heißt es in dem Papier. Damit greifen Loske und Röstel indirekt auch Trittin an. Unter den veränderten Rahmenbedingungen müssten die Ziele der Umweltpolitik und der gesellschaftliche Rahmen neu formuliert werden. Eine neue, nachhaltige Umweltpolitik könne ihre Wirkung aber nur entfalten, wenn es ihr gelinge, ökologische, ökonomische und soziale Ziele zu verbinden. Dazu brauche es neue Kooperationen. „Im Zentrum der Aufmerksamkeit sollten deshalb weniger die unvermeidlichen Abwehrkämpfe gegen die Fortsetzung alter Fehler stehen als vielmehr die Realisierung von neuen Möglichkeiten zur Optimierung der ökologischen, ökonomischen und sozialen Zielsetzungen“, schreiben die grünen Politiker. Voraussetzung für eine „gesellschaftliche Beteiligung an der Entscheidung über technische Entwicklungen“ sei, „bündnisgrüne Diskurse aus der Ecke abstrakter Verbotsforderungen zu holen“. Konkrete Ziele für diese Legislaturperiode benennen sie nicht. Das Thema Atompolitik habe man bewusst ausgespart, da man nicht laufenden Gesprächen vorgreifen wolle.

Die Thesen, so die beiden Grünen, seien nicht Selbstkritik, sondern „Selbstreflexion“ und damit ein Beitrag zur Programmdebatte der Grünen. Das Papier sei auch mit anderen Politikern abgesprochen und würde von Bundesumweltminister Jürgen Trittin begrüßt. Unterschrieben hat er aber nicht. Es enthalte „eine Menge wichtiger Gedanken, die aber nicht neu sind“, meinte sein Sprecher Michael Schroeren süffisant. Insofern sei es „zu begrüßen“.

Andere Grüne des linken Flügels, mit denen das Papier offensichtlich nicht abgestimmt worden war, äußerten Kritik: Vorstandssprecherin Antje Radcke sagte, es bleibe offen, wie vorzugehen sei, wenn Probleme nicht in Kooperation und Konsens gelöst werden könnten. Höhn kritisierte, in dem Papier „werde zu stark darauf gesetzt, dass wir jetzt nur noch mit der Wirtschaft kooperieren wollen“. Damit zeichnet sich ein weiterer Flügelstreit bei den Grünen ab. Maike Rademaker

Tagesthema Seite 3

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