: Die Stadt soll neu gemischt werden
Allein vier Projekte in und um Berlin beteiligen sich am bundesweiten Forschungsprojekt „Nutzungsmischung“. Probleme und Chancen sind sehr unterschiedlich ■ Von Uwe Rada
Noch klingt alles nach Berliner Musike. Straßen wie Mahlerstraße oder Puccinistraße geben dem „Komponistenviertel“ im Ostberliner Bezirk Weißensee einen klangvollen Namen. Doch der Schein trügt. Auch im Gründerzeitquartier mit seiner althergebrachten Berliner Mischung aus Wohnen und Arbeiten hat der Zahn der Zeit seine Spuren hinterlassen. Mieter wehren sich gegen zu lautes Gewerbe, Hauseigentümer vedrängen die mittelständischen Betriebe, und die Einkaufszentren auf der grünen Wiese drohen dem angestammten Einzelhandel den Garaus zu machen. Dies jedoch steht im krassen Widerspruch zum städtischen Prinzip der Nutzungsmischung, dem das Bundesbauministerium wieder zur Geltung verhelfen will. Auch im Komponistenviertel in Berlin-Weißensee.
„Nutzungsmischung im Städtebau“, heißt ein Programm im Rahmen des Forschungsfeldes „Experimenteller Wohnungs- und Städtebau“ (ExWoSt), das 1994 vom damaligen Bundesbauminister Klaus Töpfer (CDU) auf den Weg gebracht wurde.
Ausgehend von der Annahme, dass die „zunehmende Funktionstrennung in allen Teilen Deutschlands zu sozialen und ökologischen Problemen führt“, sollte anhand von 13 Quartieren untersucht werden, wie gemischte städtische Strukturen erhalten oder auch auf der grünen Wiese neu gebaut werden können. Der Großraum Berlin ist bei diesem Forschungsfeld mit vier Projekten vertreten: dem Komponistenviertel in Weißensee als Bestandsprojekt, dem Potsdamer Kirchsteigfeld als Neubauprojekt sowie Berlin-Adlershof und Berlin-Oberschöneweide als Konversionsvorhaben ehemaliger Industriebrachen.
Am weitesten fortgeschritten ist das vom Wiener Architekten Rob Krier geplante Kirchsteigfeld im Südosten der Potsdamer Innenstadt. Fast 3.000 Wohnungen hat der Investor Groth & Graalfs hier auf einem 60 Hektar großen Gelände bauen lassen, samt Marktplatz und Kirche – eins der zahlreichen Neubaugebiete auf der grünen Wiese, könnte man meinen, wenn sich die Bauherren nicht ausdrücklich zum Ziel gesetzt hätten, auch Gewerbe im Kirchsteigfeld anzusiedeln.
Freilich nur mit mäßigem Erfolg, wird nun kurz vor Abschluss des begleitenden Forschungsvorhabens resümiert: „Als nutzungsgemischtes Quartier ist das Kirchsteigfeld in Potsdam gegenwärtig noch unfertig“, heißt es in den ExWoSt-Informationen vom März diesen Jahres. Der Grund: Das Überangebot an Büro- und Gewerbeflächen in der Hauptstadtregion: „Der Standort kann sich in der regionalen Konkurrenz nicht profilieren, seine hohe städtebauliche Qualität und die benachbarte Wohnnutzung sind offenbar kein Standortvorteil.
Um Standortvor- oder besser -nachteile geht es auch in Berlin-Adlershof, dem mit 420 Hektar größten aller 13 bundesdeutschen Forschungsprojekte. Auf dem Gelände des ersten Berliner Motor-Flughafens „Johannisthal-Adlershof“ sollte um einen 70 Hektar großen Landschaftspark eine „Stadt für Wissenschaft und Wirtschaft“ entstehen. Doch das ist Zukunftsmusik. Nicht nur hat die Humboldt-Universität bereits verkündet, dass der Umzug der Fakultäten auf sich warten lassen werde. Auch die Nutzungsmischung ist unter Druck geraten.
Die Gründe, heißt es dazu im Zwischenbericht des federführenden Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung (BBR), „betreffen in Adlershof vor allem die Wohnnutzung“. Dies liege vor allem in einer Reduzierung der öffentlichen Mittel sowie dem damit zusammenhängenden Schwerpunkt auf Wohnungseigentum. Hinzu komme, dass es im Bestand keine Anknüpfungspunkte für Wohnen gebe. Mehr noch: Weil die Gewerbeansiedlungsprogramme durch den Berliner Wirtschaftssenator nicht für Mischgebiete gelten, wurden die „Wohnsteps“ innerhalb einzelner Gewerbezentren wieder aus der Planung genommen. Fazit des BBR: „Das Resultat ist eine deutlich gröbere Mischung als ursprünglich vorgesehen.“
Das interessanteste der vier Projekte im Großraum Berlin ist ohnehin das neben Adlershof zweite Konversionsprojekt. Auf dem Gelände des gründerzeitlichen Industrie- und Wohnstandorts Berlin-Oberschöneweide im Bezirk Köpenick wird derzeit am ehesten eine Antwort darauf gegeben, wie die riesigen Industrieareale, die für Berlin so typisch sind, am besten umgenutzt werden können. Dabei gehört das Gelände gar nicht zu den ambitionierten städtebaulichen Entwicklungsgebieten der Hauptstadt. Rückblickend freilich hat sich das wohl eher als Vor- denn als Nachteil erwiesen. Während Gebiete wie die „Wasserstadt Oberhavel“ oder der alte Schlachthof in Friedrichshain vor sich hindümpeln, sind in Oberschöneweide bereits erste Ansätze sichtbar. Das betrifft zum einen den „Wilhelminenhof“, wo die landeseigene Berliner Landesentwicklungsgesellschaft (BLEG) alte Industrie- zu Dienstleistungsflächen umbaut. Zum andern hat mit Peter Barg ein privater Investor auf dem Gelände der alten Transformatorenfabrik mit Preisen von 6 bis 13 Mark der Quadratmeter auch ein Angebot für kleine Betriebe und Künstler geschaffen. Ergänzt wird die Suche nach neuen Betrieben von der Sanierung der gründerzeitlichen Wohnbebauung an der Wilhelminenhofstraße. Neue Mischung also in alten Gemäuern.
Das einzige, was in Oberschöneweide negativ zu Buche schlägt, ist freilich das, was die Vielfalt erst ermöglicht hat. So erweist sich nach Einschätzung der BBR vor allem das Zusammenspiel der verschiedenen Akteure als schwierig. Dies zu ändern hat sich nun die Projektforschung selbst bereit erklärt. Dazu gehöre nicht nur die Realisierung eines neuen Stadtplatzes, sondern es gilt auch, die Behörden davon zu überzeugen, „in Ausnahmefällen auch wohn-, kulturelle und sportliche Nutzungen auf Industrieflächen zuzulassen“.
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