: Nach dem Machtwort das Jawort
■ Gleich viel Recht für gleich viel Liebe hatte der Kanzler versprochen. Gestern zogen homosexuelle Paare im Autokorso vor das Kanzleramt
Berlin (taz) – „I hope, this guy keeps his word!“, ruft Lydia, die Braut. Sie winkt durchs Schiebedach der Luxuslimousine und verbessert sich sofort: „I mean – this chancellor!“ Lydia aus New York liebt Aline aus Berlin, die neben ihr steht, einen roten Hut trägt und den Brautstrauß. Beide sind auf dem Weg vom Reichstag zum Kanzleramt, und die Hochzeitsgäste brauchten sie erst gar nicht einzuladen. Polizei und Presse folgen dem kleinen Hochzeitskorso, mit dem der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) Gerhard Schröder einen Tag nach seiner Berliner Machtübernahme an ein Versprechen erinnern will.
Erinnert werden soll der Kanzler an sein Jawort zur rechtlichen Gleichstellung homosexueller Paare. „Gleich viel Recht für gleich viel Liebe“ fordert der LSVD schon seit langem und meint damit die eingetragene homosexuelle Partnerschaft ohne Ausnahmeregeln. Noch immer können sich Homosexuelle in Deutschland nicht automatisch gegenseitig beerben oder im Krankenhaus besuchen. Noch immer haben ausländische Partner deutscher Homosexueller keinen Anspruch auf eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung, die ja nur durch eine Heirat erworben werden kann.
„Jede Verlobte hat mehr Rechte als ich,“ ruft Rudolf, der in Anzug und Krawatte die zweite Limousine krönt. Neben ihm freut sich Bräutigam Thomas über die klatschenden Passanten. Toll sei das, so ein Aufgebot, nur eine Hochzeitskutsche wäre noch romantischer.
Das Recht, ihre Liebe durch öffentliche Rituale zu bekunden, auch das fordern die Homosexuellen. Peter Lohmann von den Berliner Schwusos ist deshalb strikt gegen einen Vorschlag der FDP, die homosexuelle Partnerschaft beim Notar eintragen zu lassen. „Das ist Hinterzimmer und das lehnen wir ab.“ Büchsen an der Stoßstange, Hupkonzerte, Blumen auf der Kühlerhaube und Hochzeitsküsse, die zwei Paare demonstrieren auf ihrem Weg zum Kanzleramt, worum es ihnen geht.
Enttäuscht ist Ida Schillen, Berliner Abgeordnete und Bundessprecherin des LSVD darüber, daß Rot-Grün mit dem Thema Homo-Ehe Wahlkampf gemacht hat und jetzt nichts vorangeht. Sie ist dafür, die Gleichstellung zur Not als einfaches Gesetzesvorhaben durch den Bundestag zu schleusen, falls der Bundesrat nicht mitspielt. „Wir sind gegen jede Art von Kompromiss“, sagt sie. Peter Lohmann von den Schwusos zeigt da schon mehr Realitätssinn: „Das mit dem Adoptionsrecht wird mit der Justizministerin nicht zu machen sein“, vermutet er.
Umsonst ist wohl auch das geknotete Brioni-Taschentuch, das der LSVD Gerhard Schröder überreichen wollte. Das Schmuckstück aus grauer Seide vom Lieblingsdesigner des Kanzlers wird von einem Sicherheitsbeamten in Empfang genommen. Vielen Dank – nein, der Kanzler könne nicht kommen, ja, sehr schade. Auch die Limousinen sind schon wieder weg. Noch ein Kuss für die Fotografen und dann – aus der Traum. Michaela Kirschner
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