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Wasserpfeife unterm Ahornbaum

■ Das System Salzburg am Scheideweg: Nach Karajan haben sich die Festspiele mit dem künstlerischen Direktor Gérard Mortier modernisiert, doch der wird nun verabschiedet. Woher soll jetzt der Schilling rollen? Ein Resümee

Das Sein bestimmt das Bewusstsein. Nur wer das Gesamtkunstwerk Salzburg als Modell und Muster des alpenländischen Fremdenverkehrsgewerbes begreift, kann die ganze Tiefe der unterm Mönchsberg vorgeführten Künste erahnen. Mit dem Kopf mag man da oder dort kühn hinaus – mit den Füßen allerdings bleibt, innerhalb des herrschenden Systems, alles auf dem Boden der Ökonomie. An Erfolg und Misserfolg der Tourismusbranche bemisst sich allenthalben die Forderung nach mehr oder minder moderater Modernisierung der Festspiele. Oder nach Rückkehr zu „humanistischem Bildungstheater“, wie es – zumindest offiziell – Österreichs Bundespräsident Klestil nun wieder haben will.

Der harte Kern der Duldung, die dem seit sieben Jahren amtierenden Künstlerischen Direktor Gérard Mortier aus Brüssel an der Salzach zuteil wurde, war: dass es nach der langen Phase der Lähmung unterm alternden Karajan irgendwie nach vorn gehen musste. Mortier hat indes seine Schuldigkeit getan: in etwa das, was von ihm zu erwarten war. Das zog teilweise einen Austausch des bei den Festspielen tonangebenden Publikums nach sich. Schwärme junger Männer, vorzugsweise in elegantes Schwarz getucht und mit den wichtigen Mienen als künstlerisch irgendwie Teilhabende ausgewiesen, füllten jetzt oft die Gassen – was die Stadt allerdings auch nicht adretter machte als früher die dicht gestaffelte Pinguinkolonien befrackter Millionäre mit dirndlbewehrten Gattinnen oder tiefdekolletierten Begleiterinnen.

So mancher der früheren Leistungs- und Geschmacksträger haderte mit dem vorherrschenden Härtegrad der Inszenierungen und hielt sich fern; die Musikmischungen allerdings stießen auf eine im Richtungsstreit und Generationskonflikt verbrüdernde, breite Akzeptanz. Deutlich zugenommen hat bei den Premieren ein kulturbeflissener Mittelstand, und insgesamt kommt man besser an Karten, weil die Events in der Regel nicht ausverkauft sind.

Gérard Mortier scheint heuer erstmals umfassend verwirklicht zu haben, was ihm vorschwebte: die Auflockerung und Erweiterung des Musiktheater-Repertoires im Festspielbezirk und den Dépendancen; und vor allem die entschiedene Modernisierung der optischen Aufbereitung. Dabei wurde, wie in den vergangenen Jahren, auch diesmal ein gewisser historischer Kompromiss gesucht: Die vom Ehepaar Herrmann in zartbitterem Klassizismus aufbereitete Rameau-Oper „Les Boréades“ orientierte sich ebenso an einem in den 70er-Jahren entwickelten – und ziemlich stehen gebliebenen – ästhetischen Ideal, wie auch das Abstraktionsmodell der von Peter Mussbach inszenierten „Lulu“. Die setzte eine gleichfalls seit wenigstens zwanzig Jahren bewährte Reduktion, Verfremdung und Sprödigkeit gegen den Wedekindschen Wortlaut und den Ton Alban Bergs. Nach ähnlichem Interpretationsmuster ereignete sich die Bebilderung zu Ferruccio Busonis „Doktor Faust“, zumindest anfänglich. Nicht alles sollte und konnte auf der Höhe der Zeit sein, wiewohl Mussbachs Regiearbeiten ganz und gar aus dem Geist einer hart zugreifenden Moderne konzipiert wurden. Aber gerade das erscheint in einem so modebewussten Terrain wie in Salzburg als Auslaufmodell.

Auf dem schmalen Grad der innovativen Gegenwart bewegte sich die katalanische Theatertruppe „La fura dels baus“ bei „La damnation de Faust“ von Hector Berlioz. Da kamen drei Komponenten zusammen: Extrem artistischer Körpereinsatz belebte eine Musik, die auf solche Vitalisierung freilich gar nicht angewiesen ist. Die Verjüngung des Faust zu jugendfrischen Fantasien vollzieht sich vermittels einer genussvoll inhalierten Wasserpfeife unterm Ahornbaum der Felsenreitschule, die Berliozschen Episoden wurden mit elaborierten, womöglich LSD-inspirierten Videoarbeiten überzogen. Ausstatter Jaume Plensa hat sich auf der Biennale in Venedig umgesehen und manches adaptiert, vornan Serge Spitzers Isolotto-Rauminstallation.

Am stimmigsten erschien der Einsatz der neuen optischen und theatralischen Mittel bei der Uraufführung von Luciano Berios „Cronaca del Luogo“. Ansonsten droht die vorgeführte Faszination technischer Sphären rasch ihren innovativen Charme einzubüßen, sichtbar bei der mit Bugatti und Eisenbahnwaggon, Fahrrad und Rollstuhl äußerlich in Bewegung gebrachten „Don Giovanni“-Inszenierung von Luca Ronconi: Mortier distanzierte sich zuletzt von dieser Produktion, die er doch selbst eingekauft hatte. Nach allem, was Ronconi auch in Brüssel und Salzburg in den letzten Jahren anrichtete, dürfte der künstlerische Direktor allerdings gewusst haben, was er sich da einhandelte.

Durchgängig für Spitzenqualität konnte Gérard Mortier auch in diesem Jahr nicht sorgen. Zwei „Faust“-Opern im Goethe-Jahr machen noch so wenig ein stringentes Konzept wie die wiederkehrende Bezugnahme auf archaische Rituale. In konservativen österreichischen Kreisen wird derweil laut und offen über eine Rollback-Strategie nachgedacht. Die ist schon halb erfolgreich, wenn es bei der nun anstehenden Mortier-Nachfolge zu einer mediokren österreichischen Lösung kommt. Ideal wäre, wenn die Türen, die sich in den Neunzigern öffneten, auch im nächsten Jahrzehnt offen gehalten würden, der Salzburger Gemischtwarenladen aber dramaturgisch stringenter strukturiert und auch manche Einseitigkeit in Besetzungsfragen vermieden werden könnte. Freilich: Es gilt nur bedingt der Kunst. Der Schilling will rollen. Frieder Reininghaus

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