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■ Urteil: Keine einstweilige Anordnung für schwulen OffizierEin Jahr Zeit zum Nachdenken

Der schwule Bundeswehroffizier Winfried Stecher will nach seinem Ausscheiden aus der Armee ins Hotelfach wechseln und absolviert derzeit eine Fachausbildung. Das ist sicher vernünftig, hat nun aber dazu geführt, dass das Bundesverfassungsgericht seinen Antrag ablehnte, ihn sofort wieder als Bundeswehrausbilder einzusetzen.

Verteidigungsminister Scharping hat nun ein Jahr Zeit gewonnen, über diesen Fall erneut nachzudenken. Bislang ist er nur dadurch aufgefallen, dass er die harte Linie seiner christdemokratischen Vorgänger unbesehen übernommen hat: Homosexuelle seien als Ausbilder und Vorgesetzte bei der Bundeswehr nicht geeignet. Scharping verteidigt nun den Reformstau, den Rot-Grün eigentlich beseitigen sollte.

Dies überrascht in mehrerlei Hinsicht. So vertritt Scharping immerhin eine Regierung, die die Diskriminierung von Schwulen und Lesben aktiv bekämpfen will. So steht es jedenfalls im Koalitionsvertrag. Noch in der letzten Wahlperiode hat der Abgeordnete Scharping einen SPD-Gesetzentwurf mit unterzeichnet, der die Benachteiligung von Homosexuellen im Soldatengesetz und in der Soldatenlaufbahnverordnung ausdrücklich verbieten wollte.

Seither hat Scharping als Minister einen Krieg geführt, der zumindest offiziell zur „Durchsetzung der Menschenrechte“ im Kosovo diente. Und die Gleichbehandlung von Minderheiten durch den Staat ist vermutlich eines der einleuchtendsten Menschenrechte, das daher auch im Innern der Bundeswehr beachtet werden sollte.

Dass Offizier Stecher für seine Position nicht geeignet sei, ist schließlich eine völlig absurde Position. Vorgesetzte bis hin zum Kommandeur der 4. Luftwaffendivision setzen sich für ihn ein. Ebenso seine Auszubildenden. Hier wird ein Exempel statuiert, ein dummes noch dazu.

Denn wenn ein schwuler Soldat Gegenstand von Anfeindungen wird, dann trägt hierfür auch eine politische Führung Verantwortung, die derartige Vorfälle quasi als naturgegeben hinstellt. Scharping sollte sich einmal gut überlegen, ob er einem jüdischen Offizier ebenfalls vorhalten würde, er gefährde den Zusammenhalt der Truppe, weil sich vielleicht einige Antisemiten durch ihn gestört fühlen könnten.

Vielleicht aber ist Scharping politisch zu schwach, um zu seinen Überzeugungen zu stehen. Vielleicht wartet er nur darauf, bis ihn das Verfassungsgericht zu einer aufgeklärteren Politik zwingt. Dann wäre dieses Jahr ein verlorenes Jahr. Christian Rath

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