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Die Zukunft funktioniert nicht richtig

Das Zusammenwachsen von Fernsehen, Internet und allerlei anderem ist das große Ding der Medienwelt, sagen die Veranstalter der Berliner Funkausstellung. Wer sich dort umschaut, ist etwas ernüchterter  ■   Von Stefan Kuzmany

Irgendwann, versprechen die Experten, wird in der Mitte unserer Wohnung eine Maschine stehen, die alles kann

Der Bildschirm ist gefroren. Gerade wollten wir aus dem in die d-Box eingebauten Kalender die neueste „Star Trek“-Folge auswählen und die Videorekorderprogrammierung damit füttern. Zur späteren Betrachtung. Werbefrei. Und in Dolby-Surround. Aber es geht nicht. Die d-Box ist abgestürzt. Wir können auch nicht mehr umschalten. Am nächsten Tag kann uns der freundliche Kundenservice von DF 1 auch nicht helfen: „Sie müssen die neueste Version der Software downloaden.“ Als ob wir das nicht schon tausendmal versucht hätten: Dann geht eine Viertelstunde gar nichts mehr. Und hinterher ist auch nichts besser: Das Kabelsignal in unserer Wohnung sei zu schwach, sagt der Kundendienst. Das ist die digitale Zukunft des Fernsehens in Deutschland, 1999.

„Fernsehen wird interaktiv! (...) In der ersten Episode mit der versteckten Kamera wird nun der Schorsch Hackl verladen. Links im Bild erscheint die „Spielflagge“. Sie bedeutet: „Wir hätten da eine Frage an Sie.“ Wenn Sie mitwetten wollen, dann rufen Sie das nächste Spiel mit der OK-Taste ab. Handeln Sie schnell! Jedes Spiel steht nur für eine halbe oder Dreiviertelminute zur Verfügung. (...) Wie von Zauberhand erscheint die Spielanweisung auf dem Bildschirm. Die Frage testet zum Beispiel, ob Sie Schorsch Hackl richtig einschätzen. („Cherno interaktiv“, Homepage der ARD-Sendung „Verstehen Sie Spaß?“)

Das also hat der Herbert Tillmann gemeint, der Technische Direktor des Bayerischen Rundfunks, als er in dieser Woche auf der Internationalen Funkausstellung (IFA) in Berlin davon sprach, dass die Öffentlich-Rechtlichen den Anforderungen des digitalen Fernsehens gewachsen seien: Das Fernsehen wird interaktiv – und wir sollen Schorsch Hackl richtig einschätzen.

Das Zusammenwachsen von Internet und Fernsehen, die unerschöpflichen Informationsmöglichkeiten des Netzes mit den bewegten Bildern der Fernsehunterhaltung zu verknüpfen, das soll die Zukunft des Fernsehens sein. Diese Botschaft schallt einem überall auf der IFA entgegen. Und es geht nicht nur um die Zukunft des Fernsehens. Die gesamte elektronische Unterhaltung soll angeblich revolutioniert werden. Irgendwann, so die Vision, soll in unserer Wohnung nur noch ein Gerät stehen, mit einem Kabel an die Datenautobahn angeschlossen, das alles kann: Internet, Fernsehen, Radio, Videospiele, Homeshopping-Plattform, Musikbox und Telekommunikation sowieso. „Konvergenz“ heißt das Wort, das die Verkäufer von Chips und virtueller Ware gleichermaßen elektrisiert.

Was davon zu sehen ist, ist aber recht dürftig. Ein reines Internet-Zusatzangebot, welches zusätzliche Informationen zu den bewegten Bildern liefert, bieten die meisten Sender. Damit sich der Zuschauer für den Konsum dieser Zusatzhäppchen nicht vom Fernsehsessel erheben muss, um auf dem Bürostuhl vor seinem PC Platz zu nehmen, bieten einige Firmen Zusatzgeräte an, die das Internet auf den TV-Bildschirm bringen. Sogenannte Web-Boxen haben ein Telefonkabel zum Anschluss ans weltweite Datennetz und filtern das Flimmern heraus, das ein Fernsehbildschirm zeigt, wenn man ihm Computerdaten schickt. Tatsächlich verwandeln solche Boxen das TV-Gerät nur in eine Hybrid-Maschine. Fernsehen und Internet bleiben getrennte Medien, die nach wie vor nach ihren ganz eigenen Regeln funktionieren. Die z.B. von Loewe auf der IFA präsentierten „Xelos“-Fernseher mit eingebauter Web-Box sind mit (mindestens) 4.700 Mark also nicht nur sehr teuer, sondern konzeptionell schon veraltet.

Auch das bislang einzige einigermaßen etablierte Gerät für die digitale Welt sieht verglichen mit den Möglichkeiten des Internet noch sehr spartanisch aus: Der Digitalfernseh-Dekoder d-Box soll zwar die konvergierte Medienzukunft schon intus haben, wie die Kirch-Leute nicht müde werden zu behaupten. Tatsächlich zeigt die Kiste, die Kirchs Pay-TV-Kunden bekommen, die mögliche Informationsaufnahme in der Benutzeroberfläche an, die zur Auswahl der Sender benutzt wird. Aber ansonsten hat die d-Box – ganz abgesehen von Unzulänglichkeiten wie den beschriebenen – ein großes Manko: Es fehlt ein Rückkanal, der Daten des Konsumenten zurück ins Netz tragen kann. Wer heute abend als Digitalfernsehteilnehmer beim „Verstehen Sie Spaß“-Gewinnspiel mitmachen will, muss am Ende doch wieder zum Telefonhörer greifen, um seinen Punktestand einem Auswertungscomputer mitzuteilen.

Und der einleuchtendsten Möglichkeit, die TV-Bilder gleich über das Internet zu verbreiten, stehen noch allerhand technische Hürden im Weg. Das herkömmliche Übertragungsmedium Telefonkabel zum Beispiel bietet nicht genügend Kapazität. Und ob der Traum einmal im Kabelnetz wahr werden kann, hängt auch nicht nur davon ab, wem dies künftig gehört.

Damit es ein paar Probleme weniger gibt, sollen Empfangsdekoder der nächsten Generation nach dem Willen der meisten Hersteller den sogenannten MHP-Standard erfüllen. MHP ist eine Abkürzung für „Multimedia Home Platform“ – die angestrebte Universalmaschine. Eine kompatible Software-Infrastruktur soll ermöglichen, dass ein Kunde irgendwo auf der Erde einen digitalen TV-Dekoder kauft und damit dann nicht nur alle Pay- und Free-TV-Sender nutzen kann, sondern auch für zukünftige Zusatzangebote gerüstet ist. Die MHP-Geräte sollen mit der flexiblen Universalprogrammiersprache Java programmiert werden. Wenn man aber den Philips-Gesandten Georg Lütteke prahlen hört, seine Leute hätten „das Windows für MHP“ erfunden, möchte man sich gar nicht mehr vorstellen, wie dieses Betriebssystem in Bezug auf seine Laufsicherheit und Benutzerfreundlichkeit wohl aussehen mag.

Die neue Version der d-Box beispielsweise wird, betonte der Chef der Kirch-Entwicklungsfirma Beta Research, Manuel Cubero, immer wieder, einen Arbeitsspeicher von 64 MB haben und ein sehr schnelles Modem. Damit ließe sich vielleicht etwas anfangen – was, das müssen die Programmanbieter entscheiden. Die waren bei den einschlägigen IFA-Debatten aber merkwürdigerweise kaum zu hören. Wer sich dort die d-Box-Geräte der neuen Generation zeigen ließ, den musste der Standrepräsentant vertrösten: Nein, leider könne er noch keine neuen Anwendungen vorführen. Immerhin: Die neue d-Box hat ein Flüssigkristall-Display an der Vorderseite, die erwähnten 64 MB RAM und wird nach den Kirchschen Blaupausen jetzt schon von drei Firmen nachgebaut. „Was sie letztlich können wird, ist Sache der Programmanbieter“, sagt der Mann von Beta Research. Eins kann er schon versprechen: „In die neue d-Box kann man zwei Smart Cards stecken. Davon könnte eine zum Beispiel auch die ec-Karte sein.“ Damit, sagt er mit Blick auf den Kunden, „könnte man sein Geld direkt abbuchen“. Und dass das geht, scheint in der Medienzukunft das Wichtigste zu sein.

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