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Mehr Soldaten führen zu noch mehr Gewalt

■ Nirgends ist der Widerstand gegen Osttimors Unabhängigkeit so stark wie bei den Generälen

Jakarta (taz) – Der Flughafen von Dili erlebte am Sonntag ein erstaunliches Spektakel: Verteidigungsminister und Armeechef Wiranto, mit dem Polizeichef und drei Kabinettsministern angereist, wagte es nicht, den Flughafen zu verlassen. Stattdessen mussten Unamet-Chef Ian Martin und die lokalen Militärkommandeure sich zum Airport begeben, um mit Indonesiens „starkem Mann“ über die Sicherheitslage in Osttimor zu sprechen.

Zahlreiche Ausländer und Osttimoresen drängten zur gleichen Zeit auf das Rollfeld, auf der Flucht vor den Milizen, die – ungehindert von anwesenden Polizisten und Soldaten – durch das Flughafengebäude streifen konnten.

Bislang lässt sich nur spekulieren, ob General Wiranto die Gewalt der Milizen nicht stoppen kann oder ob er es nicht will. Noch Ende Juli, als die UNO längst in Osttimor war, um das Referendum vorzubereiten, versuchten er und seine Mitstreiter den Präsidenten in einer heißen Kabinettssitzung davon zu überzeugen, das Referendum abzublasen. Andererseits hat er mehrfach versichert, er werde das Ergebnis respektieren.

Nirgendswo sonst ist der Widerstand gegen die Unabhängigkeit Osttimors so stark wie bei den Generälen, die Osttimor bislang wie Kriegsherren beherrschen konnten. EinVerlust wäre in ihren Augen eine Niederlage „wie die der Amerikaner in Vietnam“, wie ein Kommentator schrieb. Die Militärs werfen Habibie vor, mit seiner Politik Unabhängigkeitsbewegungen in anderen Teilen Indonesiens ermutigt zu haben.

Niemand zweifelt mehr daran, dass es Teile der Armee waren, die Anfang des Jahres begannen, die Milizen zu rekrutieren und zu trainieren. Der Führer der Unabhängigkeitsbewegung, Xanana Gusmao, macht, wie viele Beobachter, unter anderem die berüchtigte Elitetruppe Kopassus für die Milizen und ihre Terrorkampagne verantwortlich. Deren Chef war der von Wiranto aus der Armee gefeuerte Rivale und Schwiegersohn des ehemaligen Präsidenten Suharto, General Prabowo.

Aus der UNO durchgesickerte Dokumente belegen nach einem Bericht des gut informierten Sydney Morning Herald, dass es in den letzten Tagen vielfältige gemeinsame Aktionen zwischen Armee und Milizen gab, bei denen Häuser in Brand gesteckt und Zivilisten, einschließlich Unamet-Mitarbeitern, angegriffen wurden

Den Berichten zufolge haben indonesische Polizisten und Militärs in der Stadt Liquica nicht nur bei einem Angriff geholfen, sonden selbst auf UN-Fahrzeuge und ihre Insassen geschossen. Ein amerikanischer Zivilpolizist wurde am Samstag von einer Kugel schwer verletzt.

Die dunklen Kräfte im Militär, die hinter den Milizen stehen, werden, so sagte Gusmao am Samstag bitter, „die Timoresen zwingen, ihre Brüder zu töten“. Ironischerweise heißt Wirantos Antwort auf die Kritik: Noch mehr Militär. Nachdem er in den letzten Tagen mindestens drei weitere Bataillone (mit jeweils rund 700 Soldaten) nach Osttimor beorderte, sind dort derzeit rund 20.000 Militärs und Polizisten stationiert. Gleichzeitig wuchs die Spirale der Gewalt.

Gestern erklärte der Armeechef, er denke daran, Osttimor unter Militärrecht zu stellen, um die Sitation unter Kontrolle zu bekommen. „Wir werden ganz sicher den Status der Region überprüfen, ob sie unter zivilem Befehl stehen wird oder ob sich das ändern wird“, sagte er vor einer Kabinettssitzung zum Thema Osttimor. Für die Osttimoresen, die nichts so sehnlich erhoffen wie den Abzug der indonesischen Armee, wäre das eine schreckliche Vorstellung. Jutta Lietsch

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