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Eher Brise als Gegenwind

■ Bundeskanzler kommt verspätet zum Parteitag und lässt den Neue-Mitte-Schröder daheim

Der Bundeskanzler bekommt Gegenwind, bevor er überhaupt im Saal ist. Was aber nicht an der politischen, sondern an der allgemeinen Großwetterlage liegt. Sturm und Regen im Norden – da kann der Hubschrauber mit Gerhard Schröder an Bord nicht pünktlich landen. Was solls? 20 Jahre hat die Hamburger Sozialdemokratie darauf gewartet, dass wieder ein Bundeskanzler auf ihrem Parteitag redet, da kann sie auch noch eine Stunde dranhängen.

Irgendwann kommt Schröder denn doch noch nieder, und dann ist es mit dem heftigen Gegenwind auch vorbei. Was ihn in Hamburg an Widerspruch erwartet, ist eher eine Brise. Stets spürbar, aber nicht so, dass es die Frisur wegpustet. Freundlicher Applaus, als er kommt, freundlicher Applaus, als er geht. Und dazwischen ein Auftritt, mit dem die Basis nicht ganz unzufrieden sein kann.

Der Kanzler und Parteichef strapaziert das Wort sozial, der Gerhard Schröder der Neuen Mitte ist an diesem Tag zu Hause geblieben. Zum Jubeln bringt er damit das Parteivolk zwar nicht, aber Schröder holt sich Anerkennung zurück.

Und überhaupt ist die Stimmung auf dem Parteitag gar nicht so schlecht, wie sie an sich sein müss-te. Fraktionsvorsitzender Holger Christier hat die Tagesparole ausgegeben: „Optimismus ist Pflicht.“ Das klingt ein wenig nach „Spaß muss sein“, und fast alle sind gewillt, sich daran zu halten – vor allem deswegen, weil Parteichef Jörg Kuhbier in seiner konsequenten Kurzkritik schon vorweggenommen hat, was es zu kritisieren gäbe.

Krisenmanagement durch Zuspruch: Zum Beispiel von Dorothee Stapelfeldt, Geschäftsführerin der Fraktion und einzige Frau, die sich zur Aussprache zu Wort meldet: „Fürs Zukunftsprogramm hast du unsere Unterstützung.“ Oder vom Delegierten Bernd Blickert: „Gerhard, du bist unser bestes Pferd im Stall.“ Und einer findet es besonders erwähnenswert, „wie schön und einheitlich der Parteitag bisher abläuft“. Die Kritik der Jusos, die sich ein T-Shirt mit der Aufschrift „Schröder/Blair – Wir haben verstanden-Tour 99“ und den Daten der gesammelten SPD-Wahlniederlagen übergestreift hatten, wird als Pflicht abgehakt.

Nach zwei Stunden entschwebt der Kanzler wieder in Richtung Leipzig zum nächsten Termin, und da hat sich auch draußen der Gegenwind gelegt. Peter Ahrens

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