: Malediven goes 2000
Touristenparadies mit bedrohter Vielfalt des Meeres ■ Von Carola Brezlanovits
Herzige Inseln mit breitem Sandstrand, Palmen und sonst nichts? Die Malediven – völlig fad und schon längst out? Europas High Society, die in den 80ern die 7.000 Kilometer südwestlich des indischen Subkontinents gelegene Inselgruppe als elitäres Reiseziel für sich reklamierte, bereist heutzutage Cairns, Palau oder Tahiti. Denn auch Hausmeister Meier und Supermarktkassierin Müller waren hier. Die Besucherzahlen steigen. In der Hochsaison herrscht am einzigen Großflughafen Hulule Massenabfertigung. Das Land der 14 Atolle steht heute gleichwertig in einer Reihe mit anderen Fernreisedestinationen wie Mombasa, Miami, Cancun – oder auch Puerto Plata, denn viele notorische Dom-Rep-Urlauber probieren die erschwinglich gewordenen Malediven aus. Ein neues Mallorca in der Ferne?
Die Unsicherheit weicht vor Ort beim ersten Anblick der Inselrepublik im tiefdunkelblauen Ozean. Aus 2.000 Meter Tiefe erhebt sich ein gewaltiges unterseeisches Gebirge. Auf dessen Bergspitzen ruhen die vierzehn, von Abermilliarden Korallentierchen gebauten Großatolle der Malediven – jedes bestückt mit kleinen Eilanden, deren Gesamtlandfläche mit nur 300 Quadratkilometern nicht einmal so groß wie München ist. Blendend weiße Sandstreifen. An Riffsäumen schlägt weiße Gischt. Lagunen voller Türkis.
Unterm Wasserflugzeug breitet sich das Baa-Atoll mit zwölf bewohnten und Dutzenden unbewohnten Inseln aus. Mit Ausnahme des Exklusivanlage Sonevafushi ist das nördliche Atoll für Touristen bisher nahezu tabu gewesen. Nun wird es richtig erschlossen: Coco Palm, Reethi Beach zählen zu den ganz neuen Inseln, ebenso wie das – fast von Anbeginn wegen Streitereien zwischen Inselbesitzern und Behörden geschlossene – Le Meridien und das noch im Bau befindliche Royal Island. Auf der künftigen Luxusinsel ackern derzeit 300 Arbeiter aus Bangladesh, Sri Lanka, Indien und Malaysia mit schweren Maschinen.
„Fünf Resorts – das ist dann aber genug“, erklärt Marianne Zihlmann, Front Office Manager auf dem „Newcomer“ Reethi Beach. „Tourismus ist gut, solange ein Atoll nicht mit zu vielen Hotelinseln überfrachtet wird; besonders in den neu erschlossenen sollte man nicht die Fehler früherer Jahre wiederholen.“ Sie führt vor allem Gründe des Umweltschutzes an. Überfüllte und leidende Tauchplätze, Korallenbruch, Müll – nichtorganischer muss verbrannt werden – und begrenzte Trinkwasserkapazität.
Der Reichtum von Meer und Riffen ist der kostbarste Schatz des Landes. Mit umso größerer Bestürzung erkennen wir, wie sehr das weltweit auftretende Korallensterben auch den Malediven zugesetzt hat. Stumm beklagen wir die fehlenden Farben von Tischkorallen, Hirschgeweihkorallen, Hirnkorallen. Die riffbildenden Korallen sind ausgebleicht oder schon mit Rot- und Braunalgen überzogen. Eine traurige zerbröselte Welt. Aber unter der Riesenlupe von Tauchlehrer Bruno können wir viele frische Korallenstöcke mit gesundem Aussehen ausmachen. Das Riff scheint sich zu regenerieren. Ein Hoffnungsschimmer?
Nun will die Regierung ausgewählte Tauchplätze unter Schutz stellen, um die tropische Üppigkeit zu bewahren. Vor allem das „neue“ Baa-Atoll hat es fischmäßig wirklich in sich. Bei Nelivarufinolhu ziehen garantiert majestätische Mantas ihre Kreise, auf der wunderschön besetzten Riff-Formation Dhigali Haa beobachten wir graue Riffhaie, Barrakudas, Tunas und einen ganzen Schwarm Fledermausfische – riesig wie eine 25 Meter große Wand. Bei Anga Faru mit Kosenamen „Aquarium“ stehen in einem Durchbruch zur Lagune bis zu 40 kleine Grauhaie, aber auch Barrakudas, Schildkröten, Adler- und Stachelrochen. Und am Hausriff von Reethi Beach passiert wirklich Ungewöhnliches: Jeden Abend stellen sich am Steg nicht nur Stachelrochen, sondern mehrere und ganz selten zu beobachtende Engelsrochen – ein Mittelding zwischen Hai und Rochen – ein. Die Malediven stehen für außergewöhnliche Erlebnisse unter Wasser.
Das Tourismusgeschäft auf den Malediven hat sich verändert. Wurden in den 70er- und 80er-Jahren noch täglich Reis und Fisch und Fisch und Reis serviert, war der Kaffee nicht vom Tee zu unterscheiden, wurde die einzige Disco von Tauchern als „zu viel Action“ negiert und war die ärztliche Versorgung auf die Hauptstadtinsel beschränkt, so sind die Resortinseln heute nicht mehr wiederzuerkennen: Swimmingpool, Tennisplätze, Squash, Gym, Arzt oder Klinik, Karaoke-Show und Livebands, chinesische Restaurants und italienische Cuisine, Teatime, SAT-TV, Internet-Anschluss, Telefon.
Eine Insel, die für die „neuen“ Malediven steht, ist das Reethi Beach Resort. „We try to get the Maledives back“, betont Ahmed Nazim, General Manager. Vom Konzept bis zur Gestaltung, vom vielfältigen Aktivangebot bis zum vornehmen Luxus, vom Hausriff bis zu den wahrhaft beeindruckenden Tauchplätzen – die Insel im Baa-Atoll bietet Komfort für verwöhnte Europäer, aber „auf Maledivisch“ und soweit wie möglich im Einklang mit der Natur: von Anbeginn der Errichtung des Hotels über die Einrichtung der Bungalows bis zur Abwasser- und Müllentsorgung mit Hilfe modernster Technologie.
Qualitativ hochwertiger Tourismus ist auf den Malediven nicht nur Haupteinnahmequelle, sondern kommt der eigenen Bevölkerung zugute. Keine Frage, die Arbeitsbedingungen für das angestellte und rein männliche Personal haben sich verbessert. Oft können sie sich die Arbeitsstätte aussuchen, mit dem Lohn werden die Familien versorgt, sie profitieren von einer besseren Aus- und Weiterbildung und können heute oft sehr gute Sprachkenntnisse vorweisen. Auf Reethi Beach zum Beispiel wurden für das Personal kostenfreie Shuttledhonis zu den drei umliegenden Heimatinseln eingerichtet, damit die Männer mehr am Lebensrhythmus der Familie teilhaben. Viele kommen aber auch von weither, aus Sri Lanka oder Bangladesh. „Denen geht es hier weit besser, und sie können monatlich den gesamten Lohn nach Hause schicken“, erzählt Marianne. Gibt es ein Ausländerproblem? „Nein, ich bin doch auch ein Ausländer hier, und der, der die Insel putzt, ist genauso wichtig und macht einen wichtigen Job. Alle 230 Angestellten sind hier auch zu Hause, und man muss stets für sie dasein, auch wenn sie krank sind.“
Die meisten der insgesamt ca. einhundert Touristenresorts befinden sich im Nordmale-, Südmale- und Ari-Atoll, also im Einzugsbereich der Flughafeninsel Hulule. Bis auf wenige Ausnahmen wird jede Insel von je einer Hotelkette gemanagt – mehr gehen auf die Korallensandflecken mit einer mittleren Größe von 300 mal 400 Metern einfach nicht drauf. Die 200 von der einheimischen Bevölkerung bewohnten Inseln liegen in allen Atollen verstreut. Der Zugang für Touristen ist streng geregelt: Bis auf vom jeweiligen Hotel organisierte Ausflüge auf ausgesuchte „Einheimischeninseln“ ist das Betreten schlichtweg verboten. Auch die wenigen Segler, die auf eigene Faust die Malediven erkunden, müssen sich daran halten: Ihre Route ist anzumelden und genehmigungspflichtig. Die strikte Trennung sicherte der muslimischen Bevölkerung ein weitgehend unbeeinflusstes Leben; die Malediven galten in den 70ern deshalb bei vielen als Vorzeigemodell.
Um dem immens anwachsenden Touristenstrom – pro Jahr kommen schon bis zu einer halben Million Touristen – nun neues Land unter den Füßen zu bieten, sollen laut Masterplan bis 2005 auf immerhin sechs neuen Atollen Gäste empfangen werden: Zu den gerade eröffneten bzw. in Bau oder Planung und für das Jahr 2000 bestimmten Inseln zählen neben den genannten das Vilu Reef und das Velavaru Tourist Resort (Dhaal Atoll), der Hakuraa Club und Medhufushi Island (Meemu Atoll) sowie Filitheyjo Island im Faafu Atoll, dann das Palm Beach, das Kanuhuraa SPA-Resort, Komandoo Island (Lhaviyani Atoll) sowie Pearl Island im Raa-Atoll. Nun mehren sich kritische Stimmen und warnen vor einem expansiven weiteren Ausbau an Resortinseln. „Es geht heute um einen Mittelweg zwischen absolut notwendiger Vermarktung und Überlastung“, meint Gerry Weidler, Konsul der Malediven in Österreich: „Gewisse Atolle sollten zum Nationalpark erklärt werden – und zwar ganz gleich, welcher touristische Bedarf noch entstehen wird.“
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