: Kleiner Unterschied
Der Kampf gegen den Paragrafen 218 stand im Mittelpunkt der Frauenbewegung in den Siebzigerjahren. Obwohl sie von der restriktiven Gesetzeslage nicht betroffen sind, mischen Lesben kräftig mit in dieser Debatte. Erste Lesbengruppen bilden sich, nachdem der WDR 1971 Rosa von Praunheims Film Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Gesellschaft, in der er lebt ausgestrahlt hat. An manchen Orten tun sich lesbische Frauen mit schwulen Männern zusammen, doch den Bündnissen ist oft nur eine kurze Dauer beschieden – wie in Berlin, wo sich von der Homosexuellen Aktion Westberlin (HAW) bald das Lesbische Aktionszentrum abspaltet.
Auch innerhalb der Frauenbewegung zeichnen sich Konflikte ab. Als im März 1972 in Frankfurt der erste bundesweite Frauenkongress stattfindet, ist es dort um die Anerkennung lesbischer Frauen nicht gut bestellt. Als Judy Andersen und Marion Ihns 1974 vor Gericht stehen, erhoffen sich lesbische Aktivistinnen von ihren Heteramitstreiterinnen vergeblich die Solidarität, die sie ihnen im Kampf gegen den § 218 entgegengebracht haben. In der Lesbenbewegung geraten so genannte Urlesben mit so genannten Bewegungslesben aneinander: Diese haben die Frauenliebe über den Feminismus erst entdeckt, jene praktizieren sie ohne politisch-theoretischen Überbau. Insgesamt verläuft frauenpolitisch diese Dekade weniger harmonisch, als es die Ideologie glauben machen möchte.
In Deutschland erscheint 1977 Alice Schwarzers programmatisches Buch Der kleine Unterschied, ein Buch, das den Mythos des vaginalen Orgasmus so nachhaltig zu entzaubern sucht, dass Penetration in manchen Kreisen noch zwanzig Jahre später ein Unwort ist. Zahlreiche Verlage, Zeitschriften, Buchläden, Projekte, Zentren, Kneipen, Cafés, Sommerunis, Archive werden ins Leben gerufen: 1977 erscheint die erste Emma, 1975 die inzwischen eingestellteCourage. Im selben Jahr entsteht – neben dem Orlanda Verlag in Berlin – in München der Verlag Frauenoffensive, dessen Mitarbeiterinnen sich neben dem Jahresurlaub einen Haushalts- und einen Menstruationstag im Monat gönnen.
Seit etwa zehn Jahren beginnen Lesben- und Schwulenbewegung wieder enger zusammenzuarbeiten. Cristina Nord
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