: Abgerechnet wird 2002“
■ Ein Jahr Rot-Rot in Mecklenburg: Wie einst schon die Grünen entdeckt die PDS die Zwänge der Realpolitik. Arbeitsminister Helmut Holter über den Konflikt von Kassenlage und Parteiprogramm
taz: Herr Holter, Sie sind jetzt seit einem Jahr an der Macht beteiligt. Wann haben Sie das zum letzten Mal bereut?
Helmut Holter: Noch nie, es läuft gut. Natürlich hatte ich anfangs andere Vorstellungen vom Tempo der Veränderungen. Aber ich bin ja in einem Lernprozess.
Was haben Sie denn für die Programmatik der PDS gelernt?
Wir müssen unsere wirtschafts- und finanzpolitische Kompetenz erhöhen. Außerdem müssen wir ein Schrittmaß festlegen, mit dem wir unsere politischen Konzepte umsetzen können. Eine schnelle Umsetzung ist angesichts der realen politischen Konstellationen und der öffentlichen Kassenlage nicht möglich. Die Umsetzung muss verwaltungskonform gestaltet werden, und das braucht Zeit.
Ist das PDS-Programm nicht viel zu fundamental, um durch ihre tägliche Arbeit umgesetzt werden zu können?
Ich bin der Auffassung, dass unsere Regierungsbeteiligung die Programmdebatte, die wir jetzt innerhalb der PDS haben, überhaupt erst losgetreten hat. Wir haben eben nicht nur in den Kommunen praktische Erfahrung, wie sich PDS-Politik umsetzen lässt. Unsere Erfahrungen zeigen: Wir müssen kleine Schritte gehen. Man kann durchaus eine visionäre Partei sein und trotzdem Realpolitik gestalten. Mit unserer Tagesarbeit schlagen wir Brücken zu den gesellschaftspolitischen Visionen der PDS.
Welche Ergebnisse muss die Programmdebatte bringen?
Ich will der Debatte nicht vorgreifen. Für mich steht aber so viel fest: Wir müssen diskutieren, wie wir mit unserem Antimilitarismus konkret umgehen – beispielsweise angesichts des Einsatzes von UN-Friedenstruppen in Krisengebieten. Wir müssen die Frage des Eigentums und der Gewaltenteilung klar beantworten.
Das klingt nach einem Godesberg der PDS. Kommt mit dem neuen Programm eine Sozialdemokratisierung der PDS?
Ich sehe keine Sozialdemokratisierung meiner Partei. Sicherlich: Die SPD gibt linke Positionen auf, die wir mit besetzen werden. Aber das ist ein Stück politische Normalität. Als sozialistische Partei in Deutschland bewahren wir unser Profil und gestalten es weiter aus.
Die SPD strebt allerorts zur Mitte zu. Wie macht sich das in ihrer Zusammenarbeit bemerkbar?
Wir sind ein Zweckbündnis eingegangen, das einen Koalitionsvertrag von 1998 als Grundlage hat. Insofern haben innerparteiliche Entwicklungen – egal ob in der SPD oder der PDS – keinerlei unmittelbaren Einfluss.
Herr Ringstorff ist nicht verschnupft, wenn Sie die Bundespolitik der SPD attackieren?
Klar diskutieren wir darüber. Wir lassen es uns aber weder als Landespartei noch als Koalitionsminister nehmen, Kritik zu üben. Beide Partner können damit gut umgehen, akzeptieren, dass die Eigenständigkeit der Partei gewahrt bleiben muss. Praktisch drückt sich das bei den Abstimmungen im Bundesrat aus. Bei abweichender Meinung enthält sich Mecklenburg-Vorpommern.
Was kann in Zeiten klammer öffentlicher Kassen eine rote Landesregierung anders machen als eine schwarze wie beispielsweise in Sachsen?
Wenn die PDS nicht an der Regierung beteiligt wäre, würde es in Mecklenburg keinen neuen Weg in der Arbeitsmarktpolitik geben – wie unser Einstieg in den öffentlich geförderten Beschäftigungssektor. Wir hätten in der Umweltpolitik keine neuen Ansätze, wie beispielsweise bei unserem dezentralen Abfallwirtschaftskonzept. Manches Problem, was bisher einfach liegen geblieben ist, wäre nicht angepackt worden. Die Partner in Verbänden, Gewerkschaft oder Wirtschaft sagen uns immer wieder: Ihr seid dialogbereiter. Und schließlich: Die Koalition selbst ist ein neuer Weg. Viele in der Bundesrepublik wünschen sich, dass diese rot-rote Regierung ein Ausrutscher der Geschichte bleibt. Wir demonstrieren dagegen ein Stück Normalität.
Über Erfolg oder Misserfolg dieser „Normalität“ entscheidet die Arbeitslosenquote. Die hat sich nicht wesentlich verändert.
Natürlich gilt auch bei uns das Primat der Wirtschaft. Aber der allgemeine Arbeitsmarkt wird das Problem nicht lösen. Wir haben Modelle auf den Weg gebracht, die die Arbeitslosigkeit nachhaltig bekämpfen. Gerade wurde mit der Umsetzung eines Programms, das bis 2002 insgesamt tausend Jobs für Jugend- und Sozialarbeiter an Schulen schafft, begonnen. In Arbeitsförderungsprojekten werden wir allein in diesem Jahr vierhundert Stellen schaffen.
Das hat zwar viel Geld gekostet, aber nicht gerade die Masse an Jobs gebracht.
Wir haben einen Grundstein gelegt. Abgerechnet wird 2002.
Interview: Nick Reimer
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