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Prozess gegen Rechtsextremist Diesner neu aufgerollt

■ Geklärt werden soll, ob Anschlag auf PDS-Buchhändler tatsächlich Mordversuch war

Hamburg (taz) – Es ist sein Verfahren. Er selbst hat es vor dem Bundesgerichtshof (BGH) durchgesetzt. Doch Kay Diesner will es nicht führen. Er weigert sich, aus der Vorführzelle in den Gerichtssaal zu kommen. Zu sechst zerren Sicherheitsbeamte ihn schließlich herein. Dort blickt der Rechtsextremist herausfordernd in die Runde. „BRD verrecke, Deutschland erwache“ ruft er, und, als der Vorsitzende Richter Kaiser ihn auffordert, seine Personalien zu Protokoll zu geben: „Scheiß Kaiser, Scheiß BRD“.

Frontal sitzt der „Krieger aus dem braunen Untergrund“, wie Diesner sich selbst bezeichnet, Klaus Baltruschat gegenüber. Dem Mann, den er am 19. Februar 1997 in dessen Buchladen im PDS-Gebäude Berlin-Marzahn niedergeschossen hatte. Baltruschat hat das Kinn auf die rechte Hand gestützt. Er versucht, ruhig Diesners Blick Stand zu halten, und zupft sich doch pausenlos am bartlosen Kinn. „Das Urteil“, hatte der PDS-Mann vor Beginn der Verhandlung gesagt, „wird auch diesmal Mordversuch lauten.“

Schließlich wird Diesner vom Verfahren ausgeschlossen. In seiner Abwesenheit wird das Lübecker Landgericht fortan über die Frage verhandeln, ob der Rechtsextremist Baltruschat damals töten oder ihm nur, wie er selbst im ersten Prozess behauptet hatte, „einen Denkzettel verpassen wollte“.

Frühmorgens um neun Uhr war Diesner an jenem Tag im Februar in das Geschäft von Baltruschat gekommen. Schwarz maskiert, eine Selbstladeflinte im Anschlag. Als der Buchhändler sich zu ihm wandte, drückte Diesner ab. Dreimal, erinnerte sich gestern Baltruschat. Dreimal, so steht es auch in der Anklage, damals wie heute. Im ersten Urteil, das das Lübecker Landgericht im Dezember 1997 sprach, war aber nur von zwei Schüssen die Rede. Die damalige Kammer, so BGH, habe nicht hinreichend gründlich geprüft, ob Diesner womöglich strafbefreiend vom Mordversuch zurückgetreten sei. Dann könnte er nur wegen schwerer Körperverletzung zu einer Höchststrafe von zehn Jahren Gefängnis verurteilt werden.

Eine lebenslange Haftstrafe muss Diesner allerdings ohnehin absitzen. Vier Tage nach dem Attentat auf Baltruschat hatte er auf einem Autobahnparkplatz einen Polizisten in dessen Streifenwagen ohne jede Vorwarnung erschossen. Er zielte auch auf einen zweiten Beamten, der überlebte. Die Urteile wegen Mordes und Mordversuches sind rechtskräftig.

Ob der Rechtsextremist vom Mordversuch an Baltruschat abgelassen hatte, hängt davon ab, ob er ihn schon für lebensbedrohlich verletzt hielt, als er die Flucht aus dem Laden ergriff. Für den PDS-Buchhändler besteht kein Zweifel, dass er drei Schüsse vernahm. Außerdem, so sagt er am Rande der Verhandlung: „Wer aus zwei Metern Entfernung auf jemanden schießt, will ihn töten.“ Auch die Staatsanwältin beharrt in ihrer Anklage darauf: „Er wollte Baltruschat töten, weil er ihn für ein PDS-Mitglied hielt und sich rächen wollte, weil es bei einer Demonstration von Neonazis zu Auseinandersetzungen gekommen war.“ Der einzige, der sich nicht äußert, ist der Angeklagte selbst. Sein Anwalt Thomas Schüller will „zum jetzigen Zeitpunkt keine Stellungnahme abgeben“. Der Prozess wird am Montag fortgesetzt. Elke Spanner

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