: Die Untertanen
■ Zwei Bücher entwerfen ein Bild des deutschen Offiziers in diesem Jahrhundert
Der Anblick des deutschen Kaisers in Uniform versetzte seine Untertanen in Ekstase: „Ein Rausch, höher und herrlicher als der, den das Bier vermittelt, hob ihn auf die Fußspitzen, trug ihn durch die Luft ... in einer Sphäre der begeisterten Raserei, durch einen Himmel, wo unsere äußersten Gefühle kreisen. ... Die Macht, die über uns hingeht und deren Hufe wir küssen!“ 1913 schrieb Heinrich Mann seinem fiktiven Untertan Diederich Heßling diese Gefühle in den vernebelten Geist. Nur als Offizier, mindestens aber als Reserveoffizier konnte man sich als richtiger Mann fühlen.
Der Band „Willensmenschen“ legt diesen Mythos dem Versuch zu Grunde, sich der Gattung Offizier zu nähern (vgl. taz Kultur vom 27. 11.). In 14 Aufsätzen wird erfolgreich das Allgemeine mit dem Besonderen verbunden. Historisches steht neben Sozialwissenschaftlichem und sogar für die Literaturkritik ist Platz. Wer meint, das Thema sei zu spezifisch, zu historisch oder gar dröge, wird eines Besseren belehrt.
Ein roter Faden verbindet die Einzelstücke: Romantik, gepaart mit einem ausgeprägten Sendungsbewusstsein. Claus Schenk von Stauffenberg und seine Brüder waren engste Begleiter des Dichters Stefan George, der in düsteren, schweren Worten eine Endzeitstimmung heraufbeschwor und die Moderne so erfolgreich negierte, dass die Nazis ihn ohne Not vereinnahmten. Stauffenberg, vom Krieg gezeichnet, entschied sich für den Führermord. Dreimal hatte er die Bomben im Führerhauptquartier bei sich, bis er sie schließlich am 20. Juli 1944 zündete. Michael Wildt, Autor des Kapitels „Ethos der Tat“, ist von dieser Kaltblütigkeit beeindruckt.
Vor allem zeigt dieses Buch den Offiziersstand als eine Kaste, die den gesellschaftlichen Wandel zwischen 1871 und 1914 nur schwer verkraftete. Dem Bild des preußischen Offiziers zu entsprechen und es standesgemäß zu leben, wurde immer schwieriger für die mehrheitlich adeligen Männer. Das aufstrebende reiche Bürgertum und die Industrialisierung hatte die feschen Ulanen zur Jahrhundertwende zum Anachronismus gemacht. Das Fin de Siècle war auch ihr Ende, der Mythos aber lebte weiter. Der Sieg des deutschen Heeres 1870 bei Sedan blieb der Angelpunkt des Selbstverständnisses der Soldatenelite. Obwohl hohe Militärs wie Moltke und sogar Schlieffen nach 1900 erkannten, dass ein europäischer Krieg eine Katastrophe heraufbeschwören wird, wurde er 1914 in romantischer Schicksalserfüllung vom Offizierskorps begrüßt.
Spätestens 1916 war alle Illusion dahin. Der Krieg wurde industrialisiert, und die Offiziere verreckten mit ihren Mannschaften in den Schützengräben Flanderns. 1915 hatten die Deutschen als erste Nervengas eingesetzt. Drehte der Wind, fielen ihm auch die eigenen Leute zum Opfer. Das war kein Heldentod mehr.
In der Weimarer Republik ging es den ehemaligen Offizieren schlecht. Den Veteranen gelang es nicht, sich in die gesellschaftlichen Umwälzungen einzubringen. Der monokeltragende Geck der Simplicissimus-Karikaturen hatte ausgedient. Seine Reinkarnation eine Generation später trug Totenkopfspiegel am Revers und taugte nicht mehr zur Karikatur.
Keine Männerwelt existiert ohne Frauen. In Angela Tramitz' Untersuchung des Sexuallebens tauchen Frauen als wichtige Staffage im Mythos des Offizierslebens auf. Frauen waren das Alibi des schwulen Offiziers, genau wie das des Heteros, der in ständiger Not stand, seine Virilität unter Beweis zu stellen. „Die Uniform wies den Träger als eine Art Alpha-Männchen aus, gleichsam als Fleisch gewordene Phantasie des virilen Mannes.“ Aber Frauen traten entweder als Mutter, Hure oder Heilige im Leben der echten Kerle auf, die die auf ihnen ruhenden Erwartungen nicht immer erfüllen konnten. War doch der in Prachtuniform Auserwählte als Gatte in Zivil oft eine herbe Enttäuschung für die Gattin.
So begehrt wie im Wilheminismus waren die Offiziere nach 1945 nicht mehr. Aber die Seilschaften funktionierten besser als zu Friedrich Eberts Zeiten. Die „alten Kameraden“ schoben sich Pöstchen zu. Ex-Wehrmachtsoffiziere versuchten, die Industrie auf Vordermann zu bringen – mit Weiterbildungen in preußischen Tugenden in eigens gegründeten Schulungszentren. Doch der Marshallplan brachte schnell US-Managementmethoden in die Bundesrepublik, wie Werner Bührer über „Offiziere im 'Wirtschaftswunderland‘“ schreibt. So kam man zwar im Westen über die Runden, aber der Führungsanspruch war dahin. Die Uniform verschwand aus dem öffentlichen Bild, in das sie durch einen Erlass von Wilhelm II., der Uniformtragen zur Pflicht der Offiziere erhob, fest etabliert worden war.
So facettenreich „Willensmenschen“ erscheint , so simpel ist „Pazifistische Offiziere in Deutschland 1871 – 1933“ gestrickt – ein Buch, das vor allem Lebensläufe aneinanderreiht. Es konzentriert sich auf die Tätigkeit der Offiziere, nachdem diese oft schon den Dienst quittiert hatten. Menschlichkeit wird mitunter mit Pazifismus gleichgesetzt. Im Schweinsgalopp sausen die Biografen durch manche Karrieren, sodass die pazifistische Läuterung mitunter schwer nachvollziehbar bleibt – zumal oft wenig Quellenmaterial vorhanden ist. Die Schlachterfahrung im Gemetzel des Ersten Weltkriegs reicht hier kaum aus. Vor allem ist den Autoren über ihrem anspruchsvollen Thema mitunter die Lesbarkeit abhanden gekommen. Trotz dieser Mängel illustriert dieses Buch, dass die deutsche Geschichte nicht zwangsläufig ist. Es gab Dissidenten, die im Namen des Korpsgeistes unterdrückt oder ignoriert wurden. Es gab Alternativen.
Annette Jander ‚/B‘ Ursula Breymayer, Bernd Ulrich, Karin Wieland: „Willensmenschen“. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt 1999, 224 Seiten, 28,90 DM Wolfram Wette (Hg.): „Pazifistische Offiziere in Deutschland 1871 – 1933“. Donat Verlag, Bremen 1999, 431 Seiten, 29,80 DM
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