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Sodbrennen zu verschenken

■ Aufessen statt abstauben: üppige Delikatesskörbe, ganze Gänse und Karpfen

Mit Geschenken, die von Herzen kommen, ist das so eine Sache. Wer jemals in das ratlose Gesicht seines Freundes blicken musste, nachdem man ihn mit einem selbst getöpferten Aschenbecher beglücken wollte, fängt an umzudenken. Am besten, so musste ich feststellen, sind Präsente, die der Beschenkte nicht, bevor man ihn besucht, vom Dachboden kramen, abstauben oder an die Wand hängen muss: Geschenke zum aufessen.

Zumal sich ohnehin alle schon in der Vorweihnachtszeit einen Wanst angefuttert haben, ist es um ein paar zusätzliche Kalorien auch grade wurscht. Essen muss der Mensch schließlich immer. Wer unbedingt seinem adventszeitbedingten Basteltrieb nachgehen möchte, sollte ihn am besten dahingehend kanalisieren, indem er Marzipankartoffeln rollt, mit Nikolausförmchen Space-Cookies ausstanzt oder Schlehenlikör ansetzt (man nehme 1 œ Tassen Schlehen, 1 Tasse Zucker, gieße das ganze mit Korn auf und lasse es vier Wochen ruhen). Für letzteres dürfte es jetzt allerdings schon zu spät sein.

Fressgeschenke lassen sich recht vielschichtig gestalten. Man kann üppige Delikatess-Körbe packen oder gar ganze Gänse und Karpfen verschenken. Sie haben bestimmt den einen oder anderen Weihnachtshasser in Ihrem Freundeskreis, der sich über die Festtage nur von Dosensuppe ernährt, weil er sich schon drei Tage vor Heiligabend weigert, einen Supermarkt zu betreten: Bewahren Sie ihn vor der sozialen Verelendung und bestellen Sie ihm ein Weihnachts-Catering oder überraschen Sie ihn mit einem Dinner im „Paris Moskau“ für 130 Mark.

Doch was Sie auch tun, lassen Sie sich nicht lumpen: Mon Chérie unter der Plastikglocke? Macht würgen. Ein Stollen von Aldi macht auch keinen guten Eindruck. Kaufen Sie Moet & Chandon statt Rotkäppchen! Es sind Dinge gefragt, die man sich sonst nicht leistet. Garaniert ein Ankommer: Fressartikel statt Weihnachtsdeko. Die Delikatess-Firma Werner bringt zum Beispiel für 16 Mark pro 200-Gramm-Beutel weihnachtliche Motive in ihre Pasta-Variationen. Ein buntes Sortiment aus Sternschnuppen, Weihnachtsbäumen und Engelchen verleihen der einfachen Nudelsuppe Festtags-Flair.

Besonders im Bereich der Hochpreisprodukte haben die Verpackungsdesigner tief in die Trickkiste gegriffen. Die Tannenbaumflasche mit feinem Epifine-Essig weckt weihnachtliche Gefühle schon für schlappe fünfzehn Mark. Ein Calvados-Schnaps mit Silberflocken kann auch entzücken, vor allem wenn er in einer Schneemannflasche daher kommt. Der Clou: Wenn man sie schüttelt, schneit's.

Die Schokoladenindustrie denkt sogar noch weiter: Die übliche Weihnachtsschokolade mit Zimt und Myrrhe kann eh keiner mehr sehen. Fast jede Firma hat uns daher eine Millennium-Edition mit Frische-Garantie beschert. Das Hundert-Gramm-Praliné-Päckchen von Lindt ist für 27 Mark zu haben. In diesem Fall lohnt es sich jedoch, auf die Billigmarke umzusteigen. Die Millenniumtafel von Milka beeindruckt schlicht durch Masse: Das Zweikilo-Vollmilch-Brett lässt sogar die Daumendicke arm aussehen und ist mit vierzig Mark vergleichsweise günstig. Ein Geschenk, das auf Leute mit Super-Bug-Paranoia zum Jahreswechsel einigermaßen beruhigend wirken dürfte.

Kirsten Niemann

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