: Atomausstieg verfolgt ihn bis ans Kap
In Begleitung von Wirtschaftsvertretern preist Umweltminister Jürgen Trittin die deutsche Umwelttechnik in Südafrika an. Doch die Hälfte des Trosses interessiert sich nur für die Querelen ums Atom ■ Aus Kapstadt Tina Stadlmayer
Blonde Burenjünglinge in mittelalterlicher Kleidung servieren guten Wein. Am Buffet gibt es Lamm, Leberpastete und andere Leckereien. Es ist richtig gemütlich auf „Groot Constantia“, dem ältesten Weingut Südafrikas. Die Wirtschaftsleute und die Vertreter der Umweltverbände in der Delegation des deutschen Umweltministers lassen es sich gut gehen. Nur Jürgen Trittin kann den Abend nicht genießen. Er hängt am Handy, telefoniert mit Schlauch, Müller, Fischer, Röstel und Radcke.
Tagsüber hat Trittin mit seinem Tross das Gefängnis, in dem Nelson Mandela 18 Jahre lang eingesperrt war, besichtigt, interessante Gespräche mit einem alten Weggefährten des ehemaligen Präsidenten und mit Politikern des regierenden ANC geführt. Doch dann sorgte ein Anruf aus der Heimat für Unruhe: Eine Zeitung hatte geschrieben, es gebe einen neuen Vorschlag der deutschen Atomkraftwerksbetreiber. Sie wollten vier alte Meiler ganz schnell vom Netz nehmen und erwarteten dafür lange Laufzeitgarantien für die restlichen AKWs. Wie reagiert Trittin? Der weit Gereiste winkt ab. Auf Gerüchte antworte er nicht, schon gar nicht aus dem Ausland.
Trittin ist sichtlich genervt, dass ihn der Streit um den Atomausstieg bis nach Südafrika verfolgt. Fast wäre die ganze schöne Reise schon vor ihrem Beginn geplatzt. Wenige Tage vor der Abfahrt gab es in der Bundestagsfraktion der Grünen großen Ärger wegen des jüngsten Kompromisses, auf den sich die beiden grünen Minister Joschka Fischer und Jürgen Trittin angeblich mit Bundeskanzler Gerhard Schröder geeinigt haben: Die Regierung werde in dem geplanten Atomausstiegs-Gesetz eine Laufzeit von 30 Jahren für AKWs festschreiben – viel zu lang, finden viele in der Partei.
Trittin ist trotzdem nach Südafrika aufgebrochen. Eine Absage wäre ein Affront gegen die seit 1994 regierenden ANC-Politiker und gegen die mitreisenden Wirtschaftsvertreter gewesen. Die Chefs großer und kleiner Betriebe für Umwelttechnik hoffen darauf, im Geleit des Ministers mit den Südafrikanern ins Geschäft zu kommen.
Während die Wirtschaftsleute auf dem langen Flug über den afrikanischen Kontinent Erfahrungen austauschen, geht es in der Kabine der Ministerdelegation nur um das eine: Trittin versucht seinen mitgereisten Parteifreund Winfried Hermann und die beiden Vorsitzenden der Umweltverbände BUND und Naturschutzbund, Angelika Zahrnt und Jochen Flasbarth, von seiner Position zum Atomausstieg zu überzeugen. Ohne Erfolg. Trittins Argument, die Koalition mit der SPD dürfe nicht gefährdet werden und ein Kompromiss müsse vor dem Verfassungsgericht standhalten, überzeugt die drei nicht. Sogar dem ebenfalls mitgereisten SPD-Abgeordneten und Atomexperten Horst Kubatschka sind 30 Jahre Laufzeit zu lang. Ein Großteil der SPD-Fraktion sei ebenfalls dieser Meinung, sagt der kämpferische Bayer. Das Leben ist schwer als Umweltminister.
Trotz allem herrscht eine fröhliche, manchmal geradezu ausgelassene Stimmung in der Delegation. Auch der am ersten Reisetag noch sehr gestresste Trittin lässt sich mit der Zeit davon anstecken. Keine Frage, Südafrika entwickelt sich rasant und bietet einen interessanten Markt für deutsche Umwelttechnologien. Im Gefolge eines veritablen Ministers lassen sich die Geschäfte leichter einfädeln, zum Beispiel auf der „Wirtschaftskontaktbörse“ der deutsch-südafrikanischen Handelskammer. Im 22. Stock eines Hochhauses am Hafen von Kapstadt trifft sich die deutsche Delegation mit südafrikanischen Unternehmern.
„Wenn ich hier raus schaue, sieht es aus wie in Hamburg“, scherzt Trittin. Aber er wisse auch, „dass nur wenige Kilometer von hier die Dritte Welt beginnt“. Der Minister spricht nahezu fließend Englisch, aber er redet so leise, dass ihn nur versteht, wer ganz vorn sitzt. „Langfristig sind die Interessen von Ökologie und Ökonomie dieselben“, verkündet der Grüne. In ihrem eigenen Interesse müsse man deshalb die Industrie zur Modernisierung drängen. Dieses Credo wird er im Laufe der Reise noch häufig wiederholen.
„Unser Ziel ist es, die erneuerbaren Energien nach Afrika zu bringen“ sagt Trittin: „Wir haben die Technik zu vernünftigen Preisen.“ Georg Salvamoser, Geschäftsführer der Freiburger Solarfabrik GmbH und ein überaus geselliger Typ, freut sich wie ein Kind über den ministeriellen Beistand. Am nächsten Tag, die Delegation ist mal schnell von Kapstadt 1.600 Kilometer in die Hauptstadt Pretoria geflogen, frohlockt Salvamoser noch immer. Minister Trittin und die südafrikanische Vizeministerin für Energie, Susan Shabangu, sprechen auf dem Empfang zur Eröffnung der südafrikanischen Niederlassung der Freiburger Firma. Die Ministerin im langen, weißen Rock und mit einem glitzernden Band im Haar beklagt, dass es in Südafrika noch immer zwei Millionen Haushalte ohne Elektrizität gebe. Dies sei eine große Chance für die Hersteller von Solaranlagen, „denn in entlegenen Gebieten auf dem Lande ist die Elektrifizierung sehr teuer“.
Strom sei wichtig für die Entwicklung der ländlichen Gebiete, sagt die Ministerin: „Nur wenn es elektrisches Licht gibt, können die Schulen abends Kurse für Erwachsene anbieten.“ Georg Salvamoser hat das schon vor einigen Jahren herausbekommen. Er beliefert Südafrika seither mit seinen Solaranlagen und will dort bald eine eigene Fertigungsstätte errichten. „Kohle, Gas, alles kostet Geld, nur das Sonnenlicht ist umsonst!“, ruft er aus. „Salvamoser ist eine echter Pionier“, schwärmt Trittin.
Mit alternativen Energien gibt es jedoch auch Probleme in Südafrika, erzählt Ministerin Shabangu dem staunenden Publikum: „Durstige und frustrierte Elefanten zerstören häufig Windkraftanlagen, die Grundwasser in die Brunnen pumpen – Solaranlagen lassen sie dagegen in Frieden.“
Gerade noch hat Trittin über die solarfreundlichen Elefanten gelacht. Da wird er schon wieder von der Atomfrage eingeholt. Ob es denn stimme, dass Südafrika zusätzlich mit deutscher Hilfe ein neues AKW bauen wolle, fragt die BUND-Vorsitzende Angelika Zahrnt. Sie hat sich ohne den Minister mit südafrikanischen Atomkraftgegnern getroffen und erfahren, dass der staatliche Stromkonzern in der Nähe von Kapstadt mit einer deutschen Lizenz und angeblich mit deutscher Beteiligung einen Hochtemperatur-Atomreaktor bauen will. Südafrika hat keinen Bedarf an zusätzlichem Strom im Hochspannungsnetz. Aber die neue Technologie soll ein Exportschlager werden und Arbeitsplätze schaffen.
Trittin spricht am nächsten Tag mit seinem südafrikanischen Amtskollegen Valli Moosa darüber. Moosa sagt, dass er den Bau des Reaktors ablehne, eine Mehrheit in der ANC-Regierung jedoch dafür sei. Darauf schlägt der deutsche Umweltminister seinem Kollegen vor, er solle mit einer Delegation nach Deutschland reisen und sich dort über die Argumente von Befürwortern und Gegnern der Atomkraft informieren.
Beim Treffen mit Ronnie Kasrils, dem Minister für Wasser und Forsten, einem ehemaligen Untergrundkämpfer der Kommunistischen Partei, freut sich Trittin über „biografische Gemeinsamkeiten“. Die beiden arrivierten Linken reden über das Problem der steigenden Kriminalität in Südafrika und stellen fest, dass sich ihre Ansichten im Laufe der Zeit in dieselbe Richtung verändert haben. „Früher haben wir keine Polizisten gemocht, heute wissen wir, dass Uniformierte notwendig sind, um Kriminalität zu verhindern“, bringt Trittin das Gemeinsame auf den Punkt. Dass die ehemaligen ANC-Kämpfer heute – so wie er – ganz pragmatisch und wirtschaftsfreundlich eingestellt sind, war für den Grünen beruhigend zu hören. Trittin, der von Parteifreunden noch vor wenigen Monaten als „Repräsentant des exekutiven Durchzockens“ gescholten wurde, sagt heute: „Wir müssen Reformen machen, aber wir dürfen es nicht übertreiben.“
Beim Besuch der Elendsviertel vor den Toren Kapstadts kommen Trittin dann doch Zweifel, ob das Elend der Bevölkerung allein durch Wirtschaftswachstum zu beenden ist – wie ihm ein ANC-Vertreter zu verklickern versuchte. Nur eine halbe Stunde von Kapstadt entfernt beginnen die Townships der Schwarzen. Dort wohnen über eine Million Menschen in Holzhütten mit Wellblechdächern oder ärmlichen Steinhäusern. Müll säumt den Straßenrand, dazwischen spielen Kinder.
Der Minister besucht ein Schrebergartenprojekt: Schwarze Arbeiterinnen legen zwischen Sand und Geröll karge Gemüsebeete an. Er beugt sich interessiert zu der kleinen Frau hinunter, die ihm erklärt, dass man hier Kartoffeln und Karotten für den Eigenbedarf und den Verkauf anbaut. Ein Sozialarbeiter berichtet, dass es „nahezu unmöglich“ sei, in den Elendsvierteln Umweltschutzgedanken zu vermitteln. Die Menschen haben andere Sorgen. Sie wollen ein Dach über dem Kopf und Arbeit.
Am letzten Reisetag stehen Gespräche mit Vertretern des Stromkonzerns auf dem Programm. Wieder bricht Trittin eine Lanze für die erneuerbaren Energien. Aber er geht nicht so weit, den Südafrikanern zu raten, dass sie auf Atomkraftwerke verzichten sollen.
Es folgt die Abschlussbilanz: „Die Reise war ein Erfolg“, sagt Trittin. Er habe mit seinen Gesprächspartnern eine enge Zusammenarbeit im Umweltschutz vereinbart. Außerdem sei eine Reihe konkreter Geschäfte mit südafrikanischen Unternehmen eingefädelt worden. Auch Angelika Zahrnt vom BUND ist zufrieden. Es ist ihr gelungen, einige mitgereiste Wirtschaftsvertreter und südafrikanische Umweltaktivisten zusammenzubringen. Die Deutschen haben versprochen, dass sie sich am Bau eines Umweltschutz-Zentrums in Johannesburg beteiligen werden.
Die meisten Wirtschaftsvertreter loben Trittin dafür, dass er seit Neuem so wirtschaftsfreundlich und kompromissbereit auftritt. Jacob Bauer, Leiter des Referats betrieblicher Umweltschutz bei Siemens, meint, Trittin habe sich „positiv verändert“ und erkenne inzwischen „die Realitäten an“. Auch Eberhard Meller, Hauptgeschäftsführer des Dachverbands der Energieversorger VdEW ist mit der Reise zufrieden. Es hält es für möglich, dass sich deutsche Stromunternehmen am demnächst privatisierten Strommarkt in Südafrika beteiligen. Gegenüber Trittin bleibt Meller jedoch skeptisch: „Es gibt bei ihm manchmal eine Kluft zwischen Reden und Handeln. Vielleicht hat er ja nur Kreide gefressen.“
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