piwik no script img

Vom Abreißer zum Aufpasser

Erstmals kontrollieren Studierende einen Unternehmensvorstand mit: Die Hauptversammlung der Cinemaxx AG bestätigt heute drei studentische Beschäftigte als Mitglieder des Aufsichtsrats ■ Aus Hamburg Peter Ahrens

Normalerweise beschäftigt sich Matthias von Fintel mit der Kolonialgeschichte Afrikas, Livingstone, dem Burenkrieg. Demnächst hat es der 29-jährige Geschichtsstudent allerdings mehr mit Aktiva, Dividenden und Gewinn- und Verlustrechnungen zu tun. Von Fintel zieht als einer von drei Studierenden auf dem Arbeitnehmer-Ticket in den Aufsichtsrat der Cinemaxx AG ein. Das wird die Hauptversammlung in Hamburg heute absegnen.

Die IG Medien jubelt: Noch nie habe es eine derartige Bewegung und Entwicklung bei den studentischen Mitbestimmungsaktivitäten gegeben. Unternehmenssprecher Thomas Schulz spricht dagegen von einem „ganz normalen Vorgang, der sich aus unserer Mitarbeiterstruktur ergibt“.

Gut 70 Prozent der etwa 2.000 Beschäftigten bei dem Kino-Multiplexer sind studentische Teilzeitkräfte. Und die sind inzwischen auch in den Betriebsräten in der Mehrheit. „Wir stellen fest, dass die meisten Vollzeitmitarbeiter sich zurückhalten, wenn es um Engagement in der Interessenvertretung geht“, sagt von Fintel. Dann würden eher die Studierenden vorgeschickt: „Du kannst dich besser ausdrücken, du hast studiert.“

Allerdings gibt es auch andere Gründe für die Vorbehalte gegenüber einer Kandidatur für den Betriebsrat, heißt es bei der Gewerkschaft. Dem Firmengründer und Vorstandschef Hans-Joachim Flebbe wird ein getrübtes Verhältnis zur innerbetrieblichen Mitbestimmung nachgesagt. Im Sommer hat er dem zuständigen Arbeitnehmerverband den Rücken gekehrt. Zum Betriebsrat, der sich vor sieben Jahren erstmals konstituierte, hat er bis heute keine offiziellen Kontakte unterhalten – beklagt jedenfalls von Fintel, der seit August auch Gesamtbetriebsratschefs der Flebbe Filmtheater ist. Der Unternehmenssprecher hat eine Erklärung: „Flebbe steht an vorderster Front für das Unternehmen. Da hat er keine Zeit, sich mit derartigen betriebsinternen Details zu befassen.“

In den 70ern hatte Flebbe in Hannover begonnen, sein Kinoreich aufzubauen. Heute macht der Konzern 289 Millionen Mark Umsatz, seit eineinhalb Jahren ist er an der Börse, 22 Multiplex-Kinos von Kiel bis Regensburg gehören dem Unternehmen und 45 so genannte traditionelle Kinos. Ständig kommen neue Standorte hinzu: Augsburg, Darmstadt, Trier, Braunschweig, Dresden und Delmenhorst stehen auf der Liste.

Flebbe weiß allerdings, dass er so nicht weiterwachsen kann. Neugründungen aus dem Vorjahr wie in Mannheim, Mülheim und Berlin-Hohenschönhausen haben bisher gefloppt. „Die Expansion innerhalb Deutschlands dürfte Ende nächsten Jahres beendet sein“, sagt Schulz. Flebbe schaut daher aufs Ausland und vor allem auf Osteuropa. Das erste Cinemaxx außerhalb Deutschlands entstand allerdings nicht in Warschau oder Prag, sondern in Ankara.

Von Fintel sieht einen Schwerpunkt seiner neuen Aufgabe im Aufsichtsrat darin, drauf zu dringen, dass gerade bei den ausländischen Multiplexen Tarifstandards eingehalten werden. Laut IG Medien gehören die gezahlten Tarife in der Branche ohnehin „zu den niedrigsten in Deutschland“. Die Stundenlöhne betragen durchschnittlich 13 Mark. Auch ein Grund, warum nicht mehr so viele Studierende wie früher Lust haben, sich ihr Studium im Kino zu verdienen.

Als von Fintel noch als Schüler bei den Hamburger Flebbe-Kinos einstieg, war das noch anders. Eine klassische Studentenkarriere im Kino: Abreißer, Popcorn-Verkäufer, dann Vorführer. „Klar hat sich mein Studium vor allem durch die Betriebsratsarbeit verlängert“, sagt er. Aber verlorene Zeit sei das auf keinen Fall: „Ich habe zusätzliche Qualifikationen erworben und Fähigkeiten eingeübt, die man an der Uni nicht lernen kann.“

Beim Lesen und Verstehen der Bilanzen und Geschäftsberichte steht den studentischen Aufsichtsratsmitgliedern der Wirtschaftsausschuss der Gewerkschaft zur Seite. Und die Jahresvergütung von 25.000 Mark will das neue Aufsichtsratsmitglied jedenfalls nicht dazu nutzen, seinen studentischen Lebensstil aufzubessern: Die spendet er der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen