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Vorbei nach hundert Jahren

■ Ein neues Buch über das Polizeihaus am Wall beleuchtet viele historische Details und verborgene Winkel im – nach dem Umzug in die Vahr – jetzt verlassenen Polizeihaus

Über Humor lässt sich bekanntlich streiten. Über polizeilichen Humor immer wieder. Das macht jetzt auch ein neues Buch über „Das Bremer Polizeihaus“ deutlich. 160 Seiten und viele Fotos hat die AutorInnengruppe – allesamt aus dem Ordnungskräfte-Milieu – nicht nur der Architektur und dem Amt gewidmet – sondern auch den Menschen: Den Beamten, von denen sich manche im Dienst die Kugel gaben – als sie nicht mehr konnten. Aber auch den Bremerinnen und Bremern, die immer wieder Einsätze nötig machen – über die auch Polizisten bisweilen lachen.

Für diese Anekdoten hat Autor Frank Kunze, ausgebildeter Kripomann, der mit seiner Foto-Abschieds-Tour durchs alte Polizeihaus am Wall den Anstoß für den Bild- und Textband gab, eigens die Akte „Humorica“ gefleddert. Bis 1965 wurde die beim Polizeipräsidenten geführt. Wir erfahren: Polizisten lachen am liebsten über Frauen. Jedenfalls schaffte es nur ein einziger Mann, Ex-Reichskanzler Philipp Scheidemann, in der Akte verzeichnet zu werden. Er hatte 1919 nach der Verabschiedung durch mehrere Polizisten am Bremer Bahnhof deren Chef einen „Zwerchfellorden“ verliehen – für lautstark geleistete Dienste. Die übrigen Polizisten-Lacher steckten Frauen ein. Die Ehefrau eines Fuhrwerksbesitzers etwa, der 1850 im besoffenen Zustand die Gäule „in gefährlichen Schweiß geritten“ hatte – auch noch ohne dabei Kunden zu fahren. Die entnervte Frau wollte ihren Mann ins Arbeitshaus verfrachten lassen. Ob die Geschichte anders endete, als nur mit einem Polizisten-Lacher ist jedoch nicht überliefert. Wohl aber, dass die Bremerin Minna S. im Ersten Weltkrieg erfolgreich bei der Polizei anfragte, den Mann „zur Erfüllung ehelicher Pflichten“ für ein paar Tage nach Bremen beurlaubt zu bekommen. Der Kompaniechef genehmigte: „In diesem Fall werden drei bis fünf Tage für ausreichend erachtet und befürwortet.“

Aufgeklärt wird leider nicht, warum diese Akte nach 1965 nicht weiter geführt wurde. Denn es hat doch spätestens in den Neunzigern diese lustige Geschichte gegeben, als eine Kombo von SPD- und CDU-Parlamentariern sich dabei erwischen ließ, als sie sich angetrunken an einer Schwachhauser Baustellenumzäunung zu schaffen machte.

Kein bisschen lustig ist dagegen die Zeit zwischen 1933 bis 1945 bei der Polizei ausgefallen. Der Polizeiapparat wird zum Machtapparat der Nationalsozialisten. Wie diese schätzte die Bremische Polizei die Gefahr duch Kommunisten sehr hoch ein. Wo nicht innerhalb der Polizei schnell Nazi-Strukturen durchgeschlagen haben und so demokratische Vorgesetzte aus dem Weg geräumt wurden, wurde immer wieder Amtsanmaßung betrieben. Zugleich werden die Übergriffe von SA, SS und Stahlhelm geduldet. „In seiner Geschichte war das Polizeihaus nicht nur ein Ort, wo Verbrechen bekämpft wurden. Da sind auch welche geschehen“, heißt es bei der Bremer Polizei.

Dass die Gestapo mit ihren brutalen Folter-Verhören das Haus verlassen musste, um nur ein paar Häuser weiter am Wall zu siedeln, war denn auch nicht Ausdruck von Distanzierung. Dazu kam es, weil die Gefolterten so laut schrien, dass die übrige Belegschaft sich gestört fühlte. Aus dem „Zigeuner-“ und dem „Judendezernat“ im Polizeihaus heraus wurden später die Deportationen organisiert – und zwar bis Kriegsende. Das Polizeihaus, dessen Architekt Carl Börnstein in Bremen wenig Spuren hinterließ, blieb nämlich ohne große Schäden: Holländische Kriegsgefangene mussten den zu Beginn dieses Jahrhunderts errichteten Bau mit Tarnfarbe anmalen. Auch das dokumentiert der jetzt vorgelegte Band – neben vielen kurios gestalteten Winkeln mit einer Geschichte, die kaum jemand kennt. ede

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