: Thälmann lebt!
Ein Wahlkampf-Graffito aus dem Jahr 1932 sorgt im Essener Norden für provinziellen Streit. Darf die Hauswand-Werbungfür den einstigen KPD-Chef Ernst Thälmann unter Denkmalschutz gestellt werden? ■ Aus Essen Pascal Beucker
Knapp 70 Jahre ist sie alt. Die NS-Zeit konnte ihr ebenso wenig anhaben wie die antikommunistische Adenauer-Ära oder die SPD-Bauwut der 70er-Jahre. Während zeitgenössische Graffiti oft nicht einmal den nächsten Tag erleben, blieb ausgerechnet diese Wahlkampfparole des Jahres 1932 von Übermal-, Reinigungs- oder Renovierungsaktionen verschont: „Wählt Thälmann“.
Die zwei Worte auf der Vorderfassade des Hauses Röckenstraße 15 A im Essener Stadtteil Katernberg sorgen nun für provinziellen Streit: Soll die Werbung für den einstigen KPD-Chef Ernst Thälmann unter Denkmalschutz gestellt werden oder nicht?
Entdeckt von einerDKP-Flugblattverteilerin
Entdeckt hatte die Aufschrift eine Flugblattverteilerin der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP). Die kleine Partei, die schon mal bessere Zeiten erlebte, hat in der Essener Hoffnungstraße ihre Parteizentrale und im Ruhrgebiet auch noch den einen oder anderen Anhänger. Was den bundesweit noch rund 6.500 aufrechten Urenkeln Thälmanns vor allem bleibt, ist die nostalgische Erinnerung an bessere Tage – an damals, als das Kommunistische noch vor dem Deutschen im Parteinamen stand und die KPD das war, was die DKP immer sein wollte: eine Massenpartei. Und dann diese Entdeckung: Thälmann lebt! Klassenbewusst, wie es sich gehört, auf einer Häuserwand in einer alten Bergarbeitersiedlung.
„Wählt Thälmann“ – der Aufforderung folgten bei der Reichspräsidentenwahl am 13. März 1932 in Essen stolze 22,2 Prozent der Wähler. Im Reichsdurchschnitt landete der KPD-Chef nur bei 13,2 Prozent. Auch bei der Stichwahl am 10. April kam Thälmann in Essen auf ein besseres Ergebnis: 16,3 gegenüber 10,2 Prozent reichsweit. Auf Hindenburg entfielen 53 Prozent, auf Hitler 36,8 Prozent. Nach der Machtübernahme der Nazis, nicht einmal ein Jahr später, wurde Ernst Thälmann am 3. März 1933 verhaftet. Elfeinhalb Jahre verbrachte er in Einzelhaft. Am 18. August 1944 ermordete ihn die SS im KZ Buchenwald.
Zunächst selbst nicht ganz sicher, ob es sich um ein historisches Dokument oder vielleicht doch nur um einen Scherz aus späteren Tagen handelte, beantragte die DKP „auf gut Glück“, wie ihr Bezirkschef Patrik Köbele sagt, die Parole unter Denkmalschutz zu stellen. Die Inschrift aus der Endphase der Weimarer Republik sei „Beleg des Kampfes der Arbeiterbewegung im Essener Norden gegen den herannahenden Faschismus“, schrieb die linke Folkloretruppe in ihrem Antrag. Denn die KPD habe schon im Wahlkampf 1932 gesagt: „Wer Hindenburg wählt, wählt Hitler, wer Hitler wählt, wählt den Krieg“ – und deshalb ihren Vorsitzenden Thälmann zur Reichspräsidentenwahl nominiert. Die Inschrift sei „somit als zeitgeschichtlicher Beleg von großer historischer Bedeutung und schützenswert“.
Kann es wirklich sein, dass „Wählt Thälmann“ alle Zeitläufte unbeschadet überstanden hat? Ja, es kann. Sowohl die Essener Denkmalbehörde als auch das Rheinische Amt für Denkmalpflege bestätigten die Authenzität der Inschrift, die ein unbekannter kommunistischer Wahlkämpfer irgendwann um 1932 an die Häuserwand gemalt hat.
Ein Denkmal für Thälmann?Geh doch in den Osten!
Dabei benutzte er eine ausgesprochen widerstandsfähige Farbe: eine Mischung aus Heringslake und roter Mennige. In einem Gutachten wertete das Denkmalpflegeamt das Graffito als „seltenes Zeitzeugnis für die Geschichte der Weimarer Republik“. Es sei „aus sozial- und stadtgeschichtlichen Gründen“ zu schützen.
Doch eine Mehrheit in der zuständige Bezirksvertretung im Essener Norden sieht das anders: „Wählt Thälmann“ – nicht mit uns, entschieden die Kommunalpolitiker Mitte Dezember. Wer unbedingt ein Denkmal für Kommunisten wolle, so ein CDU-Bezirksvertreter, der solle doch „in den Osten gehen“. Eine große Koalition: Nicht nur die CDU und der Vertreter der „Republikaner“ stimmten gegen den DKP-Antrag. Auch die SPD konnte sich nicht für ihn erwärmen. Man könne doch kein ganzes Haus unter Denkmalschutz stellen, nur weil da eine verblasste Schrift auf einer Ziegelwand stehe. Schließlich müsse auch an den heutigen Eigentümer des leer stehenden Hauses gedacht werden, hieß es aus den Reihen der Sozialdemokraten. Eigentümerin ist Viterra, besser bekannt unter ihrem früheren Namen Veba-Immobilien. Nur der Vertreter der linken „Bürgerliste Nord“ stimmte für Thälmann. Grüne sind in der Bezirksvertretung nicht vertreten.
„Schade, hier wäre ein Teil Geschichte zu dokumentieren, der mal nicht nur in Schulbüchern steht, sondern mit dem man sich vor Ort wunderbar auseinander setzen kann“, kommentierte Essens oberste Denkmalschützerin, Petra Beckers, enttäuscht den Beschluss. Die Ablehnung des Denkmalschutzantrags sei „nicht nur ein Schlag ins Gesicht aller Antifaschisten, sondern belegt auch, wie überragend wichtig heute Konzerninteressen für die Partei sind, die einstmals stolz den Namen Sozialdemokraten trug“, erzürnt sich Patrik Köbele. Die DKP werde alles tun, um dieses „historische Dokument des antifaschistischen Kampfes“ trotzdem zu erhalten.
Hoffen können die Genossen aus der Hoffnungstraße allerdings jetzt nur noch auf eine Sozialdemokratin: Ilse Brusis. Die nordrhein-westfälische Ministerin für Arbeit, Soziales, Stadtentwicklung, Kultur und Sport könnte sich über den Beschluss der Bezirksvertretung hinwegsetzen. Warum nicht? Immerhin war Ernst Thälmann 14 Jahre lang SPD-Mitglied.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen