: Für die Nationalisten in Bosnien wird es jetzt eng
Der Zagreber Machtwechsel stärkt die moderaten Kräfte in Bosnien. Die Gefahr einer Teilung schwindet ■ Aus Sarajevo Erich Rathfelder
Viele Menschen in Bosnien-Herzegowina freuen sich, dass die ehemalige kroatische Regierungspartei HDZ die Wahlen verloren hat. Vor allem unter den Muslimen in Bosnien herrscht eine fast ausgelassene Stimmung. Denn unvergessen ist hier, dass Franjo Tudjman 1993 gegen den von Serben angegriffenen bosnischen Reststaat Krieg führte, obwohl sich die muslimische Bevölkerung zu Kroatien hingezogen fühlte.
So empfanden die Muslime Bosniens damals den Bruch der 1992 bestehenden Kriegskoalition zwischen Kroaten und Muslimen durch Tudjman als Verrat. Die Spannungen zwischen diesen beiden Volksgruppen in Mostar und Zentralbosnien zeugen bis heute davon. Erschwerend kommt hinzu, dass die Kroaten Bosnien-Herzegowinas unter der Führung nationalischer Extremisten trotz des Washingtoner Abkommens 1994, der den Krieg zwischen Bosniaken und Kroaten in Bosnien beendete, weiter eine Obstruktionspolitik betrieben und versuchten, die von ihnen kontrollierten Gebiete im Südwesten des Landes und in Zentralbosnien selbst zu verwalten.
Unterstützt vom Tudjman-Regime, das dieses Gebilde Herceg-Bosna täglich mit zwei Millionen Mark aufgepäppelt hat, gab es selbst nach dem Abkommen von Dayton 1995 und der Bildung einer kroatisch-bosniakischen Föderation kaum Fortschritte bei der Reintegration des Landes. In West-Mostar und den von Kroaten kontrollierten Gebieten gilt weiter die kroatische Währung Kuna, obwohl in Bosnien-Herzegowina die bosnische Währung, die konvertible Mark, gelten sollte.
Überdies gibt es eine eigene Armee (HVO) und eine Polizei. Die Grenzen Bosnien-Herzegowinas nach Kroatien kontrollieren bosnische Kroaten. So hielt sich Kroatiens Führung den Weg offen, die kroatisch kontrollierten Gebiete mit Kroatien zu vereinigen.
Mit dem Sieg der Opposition in Kroatien aber hat diese Perspektive keine Erfolgsaussichten mehr. Dies betonte gestern der stellvertretende Hohe Repräsentant der internationalen Gemeinschaft, der Amerikaner Jacques Klein. Auch kroatische Oppositionspolitiker in Bosnien, wie der von Tudjman 1997 geschasste ehemalige „Präsident“ von Herceg-Bosna, Kresimir Zubak, meldeten sich zu Wort. Ausgerechnet in der serbisch-bosnischen Wochenzeitung Nezavisne erklärte Zubak, die neue Regierung in Kroatien würde die Existenz Bosnien-Herzegowinas in den bisherigen Grenzen respektieren. Außerdem forderte er, die Wahlergebnisse der bosnischen Kroaten zu überprüfen.
Mit 90 Prozent der Stimmen sollen die die HDZ gewählt haben. Berichte zufolge sollen ganze Dörfer mit Fahrzeugen der kroatisch-bosnischen Armee HVO zu den Urnen transportiert worden sein. Tote seien an den Urnen wieder auferstanden, heißt es in bosnischen Zeitungen, die Wahlen seien stark manipuliert worden.
Folglich wird gefordert, die Wahlen in 11 der 15 Stimmbezirke zu wiederholen. Eine Entscheidung steht noch aus. Aber die kroatischen Extremisten bewegen sich in Zukunft auf wackligem Terrain. Bosnien gegenüber loyale Politiker wie Zubak und Stjepan Klujic – Gründer der bosnischen HDZ – fühlen sich im Aufwind, vor allem, weil auch die katholische Kirche unter dem Kardinal von Sarajevo, Vinko Puljic, ihre Abneigung gegenüber den Extremisten spüren lässt.
Die Nationalisten der anderen Volksgruppen stehen der Entwicklung mit gemischten Gefühlen gegenüber. In den serbisch-bosnischen Medien wird aufmerksam registriert, dass der voraussichtlich neue Premierminister Kroatiens, Ivica Racan, die aus Kroatien geflohenen Serben zur Rückkehr aufrief. Gleichzeitig befürchten serbisch-bosnische Nationalisten, die durch die Wahlen in Kroatien ausgelöste Entwicklung könnte die nicht nationalistischen Kräfte in Bosnien selbst stärken.
Denn nicht nur in den muslimischen Gebieten, auch in der Republiks Srpska wächst die Anhängerschaft der bosnischen Sozialdemokraten, der SDP. „Bei den nächsten Wahlen werden wir unsere Nationalisten abwählen“, erklärten viele Bürger in Sarajevo. Der Führer der muslimischen Nationalisten, Alija Izetbegović, griff die SDP in einem Interview scharf an und erklärte, die SDP kümmere sich nur wenig um die nationalen Belange der bosnischen Muslime.
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