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Zweifel bleiben ■ Berlin nimmt das Demonstrationsrecht nicht ernst genug
Wird es künftig weniger Demonstrationen geben? Und zwar nur noch solche, die bei niemandem Anstoß erregen, der skrupellos genug ist, sie durch Drohungen verhindern zu wollen?
Diese Fragen stellen sich nach der Entscheidung von Innensenator und Polizei, die für den vergangenen Sonntag geplante Gedenkdemonstration zum Todestag von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht abzusagen. Schließlich kann dieser Präzedenzfall Nachahmer ermuntern. Zwar soll die ausgefallene Demonstration am kommenden Wochenende nachgeholt werden. Aber der Schaden ist da – bundesweit: das Signal, dass man es nur geschickt genug anfangen muss, um Demonstrationen zumindest vorerst zu verhindern.
Dennoch ist es vermessen, von einem Skandalfall zu sprechen, wie es im Umfeld der PDS geschieht. Es mag sein, dass dem Innensenator die Luxemburg-Demonstration weniger am Herzen liegt als ein Gedenktag anlässlich der Maueropfer. Es ist aber nachvollziehbar, eine Demonstration abzublasen, bei der es nach realistischer Einschätzung Tote geben kann, weil die Zeit für die Gefahrenabwehr knapp ist. Wenn etwas passiert wäre, hätten vermutlich dieselben Schreihälse getobt, dass der Polizei die Sicherheit der Linken nicht viel wert ist.
Im Grunde geht es um eine Güterabwägung zwischen der Durchsetzung des Demonstrationsrechts und der größtmöglichen Sicherheit. Jeder wird die Frage graduell anders beurteilen: Wie wichtig ist der Zeitgewinn durch eine Verschiebung, und rechtfertigt er sie? Das ist auch eine Gewissensfrage.
Problematisch wird es nur, wenn Zweifel daran aufkommen, dass dem Staat die Demonstrationsfreiheit nicht so viel wert ist, wie es einem Grundrecht gebührt. Und die sind in Berlin berechtigt. Schließlich will Innensenator Werthebach Demonstrationen allein deshalb einschränken, um Staus einzudämmen.
Die Luxemburg-Demonstration ist sicherlich keinen Todesfall wert. Andererseits geht es um mehr als eine einzige Demonstration, nämlich um die Durchsetzung eines Grundrechts, das das Leben für alle erträglich macht. Der Verdacht bleibt: Berlin hat es sich zu leicht gemacht.
Markus Franz
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