: Die Friedrichstraße ist überall
■ Bausenator Peter Strieder will Urbanisierung pur: 50.000 Wohnungen in der Innenstadt, keine Autos durchs Brandenburger Tor und – man höre und staune – keine Kanzler-U-Bahn
Vor einem halben Jahr hat Peter Strieder (SPD) seine größte Niederlage als Stadtentwicklungssenator einstecken müssen. Jürgen Klemann, damals CDU-Bausenator, ließ kein gutes Haar an Strieders „Planwerk Innenstadt“. Der Masterplan zum Wiederaufbau der Innenstadt zwischen Alexanderplatz und City West wurde vom Senat zerstückelt, das „Leitbild“ von der pulsierenden Metropole verworfen und der Verkehrsplanung die „autofeindlichen Giftzähne gezogen“, wie Klemann triumphierte.
Heute ist Strieder Senator für Stadtentwicklung, Bauen und Verkehr und seit gestern das „Planwerk“ wieder offizielle Bau- und Verkehrspolitik. Schwerpunkt der zukünftigen Entwicklung der Stadt, sagte Strieder gestern bei der Vorstellung seines Superressorts, werde eine Revision der Klemannschen Verkehrspolitik sowie die Rekonstruktion des historischen Zentums sein. Der „Aufbau der Stadt“, so Strieder, habe „in ihrem Innern Vorrang vor ihrer Erweiterung“. Insbesondere die Innenstadt müsse als urbaner und sozial vielschichtiger Wohnort gestärkt werden.
Zu den Verkehrsplanungen, die Strieder auf den Index setzen will, gehört die Verlängerung der U-Bahn-Linie 5 vom Alexanderplatz über den Reichstag zum Lehrter Bahnhof. Nach Ansicht des Bausenators sollen die Untersuchungen des Wirtschaftsforschungsinstituts DIW „sorgfältig geprüft“ werden. Schon jetzt könne aber gesagt werden, dass der 1991/92 geschätzte Bedarf der „Kanzler-U-Bahn“ „nicht so groß“ sei wie prognostiziert. Nach Ansicht Strieders ist es vorstellbar, den umstrittenen U-Bahn-Bau zu stoppen oder auf einen Zeitraum „hinauszuschieben, wenn es wieder Bedarf dafür gibt.“
In der Vergangenheit hatte insbesondere Michael Cramer, verkehrspolitischer Sprecher der Bündnisgrünen, das Projekt als „unsinnig“ charakterisiert, da bereits eine S-Bahn-Linie die Stationen verbinde.
Außerdem sprach sich Strieder dafür aus, das Brandenburger Tor „wieder für den privaten Autoverkehr zu schließen“. Über den Pariser Platz sollten nur noch Busse des öffentlichen Personennahverkehrs in Ost-West-Richtung rollen. Der Autoverkehr, erklärte Strieder, könne stattdessen über die Behren- und verlängerte Französische Straße sowie die Dorotheenstraße geführt werden.
Die Neuauflage des baulichen Teils vom Masterplan wird Strieders zweiter politischer Schwerpunkt werden. Die Bauleistungen am Potsdamer Platz dürften nicht darüber hinwegtäuschen, so der Senator, dass „die eigentlichen Schwerpunkte Berlins“ in der östlichen Innenstadt und der City West erst „wenige Veränderungen“ erfahren hätten. Das Gebiet zwischen Alexanderplatz und Schloßbrücke soll daher den Mittelpunkt der planerischen und baulichen Aktivitäten in den nächsten fünf Jahren bilden. Für den Park vor dem Rathaus werde ein Bauwettbewerb initiiert. Zugleich soll mit dem Ausbau des Alexanderplatzes begonnen werden. Strieder: „Der Alexanderplatz wird der Potsdamer Platz im ersten Jahrzeht des neuen Jahrhunderts.“
Außerdem sei notwendig, sagte Strieder, die westliche City um den Bahnhof Zoo „vor einem Bedeutungsverlust zu schützen“. So solle neben den geplanten Hochhäusern am Breitscheidplatz der Ausbau des Hardenbergplatzes Vorrang erhalten.
Um die Abwanderung von Bewohnern aus der Stadt ins Umland zu verhindern, setzt Strieder ganz auf die „Innenstadt als Wohnort“. Kern seiner Baupolitik, sagte Strieder, werde daher zum einen „die Sicherung und Verbesserung des Sozialgefüges im Sozialwohnungsbestand haben.“ Dazu soll die Belegungsbindung für 26.700 Sozialwohnungen in Großsiedlungen aufgehoben werden.
Zum andern erhält der private Wohnungsbau in der Innenstadt „absolute Priorität“. Für 50.000 Wohnungen sollen in dieser Legislaturperiode Bauflächen in der City aktiviert werden, außerdem strebt Strieder die Förderung von Genossenschaften an.
Als Konsequenz der Innenstadtentwicklung wird die „Bauausstellung Berlin 1999“ an der Peripherie „nicht weiter verfolgt“. Applaus erhielt Strieder dafür von Bernd Holtfreter (PDS), der das Projekt für „verfehlt“ hält. Es sei zu begrüßen, sich wieder auf „die Bestandsverbesserung der Stadtteile zu konzentrieren“.
Rolf Lautenschläger
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