: Unerschütterlich selbstgerecht
Kohl hält in der Handelskammer zu Hamburg eine Festrede, sagt: „Ich war niemals bestechlich“, und lässt sich als Staatsmann feiern
Der Altkanzler war gerührt: „Das tut mir einfach gut, so aufgenommen zu werden.“ Die Hamburger Wirtschaft applaudiert Helmut Kohl, und es ist wie ein Zeitsprung rückwärts. Der Mann, der seit Dienstag nicht mehr Ehrenvorsitzender der CDU ist, räsoniert über die Wiedervereinigung, über „den Mantel der Geschichte“ und über das „Land in der Mitte Europas, das sich provinzielle Enge nicht erlauben kann“. Er redet, als sei er noch in Amt und Würden, als stünde hier der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland am Podium. Vielleicht ist die ganze Spendenaffäre nur ein Spuk. Die Handelskammer, die ihn zu ihrem 335. Geburtstag als Festredner eingeladen hat, überreicht ihm am Mittwochabend die Kammermedaille als „Anerkennung seiner Verbundenheit zur Wirtschaft“.
Über Europa soll er reden, doch alle erwarten, dass er Stellung nimmt – es ist sein erster öffentlicher Auftritt, seit die CDU das Tischtuch zu ihm zerschnitten hat. Er nimmt Stellung und ist doch der Helmut Kohl, der er immer war. Unerschütterlich in seiner Selbstgerechtigkeit, wasserdicht gegenüber Selbstzweifeln. Es redet einer, der es nicht verstehen würde, wenn man ihn Verfassungsbrecher nennt. Der entweder nicht wahrnimmt, was mit der Partei geschieht, oder es willentlich in Kauf nimmt. „Ich habe nie für mich in Anspruch genommen, ein Heiliger zu sein, aber jeder, der mich kennt, weiß: Ich war niemals bestechlich.“ Hier klatschen die Hamburger Kaufleute noch kräftig in die Hände. Als Kohl anfügt: „Ich werde um meine Ehre kämpfen, und dazu gehört, dass ich mein gegebenes Wort halte“, rinnt der Beifall in der ehrwürdigen Hamburger Börse nur dünn.
Der frühere rechtspolitische Sprecher der CDU-Fraktion im Bundestag, Horst Eylmann aus Stade, attestiert Kohl anschließend einen „kompletten Realitätsverlust“. Eylmann hat die Rede wie die meisten seiner Parteifreunde am Fernsehen verfolgt. Lediglich Hamburgs CDU-Parteichef Dirk Fischer ist im Saal erschienen, „um den Respekt vor der Lebensleistung Helmut Kohls zu erweisen“.
„Ich habe mich zu meinen Fehlern bekannt“, sagt Kohl, und das ist es dann auch in Sachen Schuldbewusstsein. Anschließend wendet er sich lieber dem „Glücksfall deutsche Einheit zu“ und dem „europäischen Gedanken, dem ich seit meiner Jugendzeit zugetan bin“. Flucht in die Zeit, als der Altkanzler noch Kanzler und die Welt noch gut war. Handelskammer-Präsident Nikolaus Schües befindet am Ende: „Sie haben eine gute Rede gehalten.“ Fortsetzung folgt: Heute Abend ist Kohl Ehrengast auf dem Neujahrsempfang der Bremer CDU.Peter Ahrens, Hamburg
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen