piwik no script img

Die Ufos der Kunstgeschichte

In der Berliner Gemäldegalerie lagern 168 Kunstwerke „unbekannter Herkunft“: Sie stammen aus jüdischem Besitz, von windigen Kunsthändlern sowie Raubzügen der Kriegs- und Nachkriegszeit. Jetzt liegt eine erste Dokumentation des „Fremdbesitzes“ vor ■ Von Rolf Lautenschläger

Pikant liest sich die Geschichte eines Kunsthändlers, der 1942 gleich sieben Bildnisse abgab und nie wieder gesehen wurde

Spurensuche: Ein Gemälde „Bildnis eines Herren“. Entstanden vermutlich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Deutschland. Dazu eine Karteikarte mit ein paar wenigen, aber schrecklichen Stichworten. „Zustand Sicherheitsüberklebung, teilweise gelöst. Aufkleber: OF (kyrillisch) 82003 299, rote Nummer 305 (...) Das Bild wurde bereits beschädigt bei VII C2 eingelagert. Berlin 23. September 1943. SS-Hauptscharführer Kuhn (?)“

Vermutungen: Der Text im Aufkleber lässt die Annahme zu, dass es sich bei dem Gemälde um eine „private Einlagerung“ handelt, die vielleicht aus jüdischem Besitz geraubt und während der Kriegstage 1943 in einen „schlesischen Verlagerungsort (VII C) eingegangen“ ist. Wahrscheinlich räumte die Rote Armee das schlesische Depot 1945. Vermutlich stammt das „Bildnis eines Herren“ aus dem Historischen Museum Breslau und war 1958 nach Berlin in die staatliche Gemäldesammlung gelangt.

„Wahrscheinlich“, „vermutlich“, „vielleicht“. Die Terminologie kennt man in Deutschland, speziell (aber nicht nur) wenn es sich um die Geschichte jüdischer Mitbürger und ihres Besitzes aus der Zeit des Nationalsozialismus handelt. Ein Spiegel spezifisch deutscher (Kunst-)Geschichte aus Raub, Arisierung, Krieg, Verlust, Nachkriegswirren lagert seit kurzem in der neu gebauten Gemäldegalerie am Berliner Kulturforum. Neben dem herrenlosen Bildnis aus Breslau hängen in einem Kellerkabinett des Museums noch 167 weitere Bilder alter Kunst – Porträts, Landschaften, mythologische und christliche Motive aus dem 17. und 18. Jahrhundert –, fein aufgereiht hinter Gittern. Gemeinsam ist ihnen, dass ihre Vergangenheit im Dunkeln liegt, mal mehr, mal weniger. Gemeinsam ist ihnen auch, dass die „Bilder unbekannter Herkunft“ – Fremdbesitz genannt – jetzt erstmals dokumentiert und katalogisiert worden sind.

Die Aufklärungsarbeit hat Irene Geismeier, bis 1999 stellvertretende Direktorin der Gemäldegalerie, unternommen. „Ufos“, die unbekannten Kunstobjekte aus Fremdbesitz, wie der Museumsjargon die Bilder chiffriert, habe es seit der Nachkriegszeit in den Berliner Museen gegeben, sagt die Direktorin. Auschlaggebend für diese Gesamtübersicht aber sei die „Zusammenführung der beiden großen Sammlungen“ alter Kunst, des Bode-Museums (Ostberlin) und der Gemäldegalerie Dahlem (Westberlin), ins neue Haus am Kulturforum 1998 gewesen. „Über den Bestand aller Kunstwerke wurde ab 1996 ein Gesamtverzeichnis erstellt. Mir kam es darauf an, auch die vagabundierenden Bilder jenseits der Glanzstücke zu durchleuchten.“ Geismeiers Fahndungsinstinkt aber war nicht allein kunsthistorischer Natur. Der einstigen Chefin des Bode-Museums auf der Museumsinsel ging es vor allem darum, die politische Diskussion über die Beutekunst alliierter Soldateska auch in Berlin zu thematisieren. „Das Museum ist kein Elfenbeinturm“, die Gemäldegalerie kein Ort allein für den schönen Schein.

„Die Motivation, einen solchen Bestand zu veröffentlichen“, stimmt Jan Kelch, Direktor der Gemäldegalerie, zu, „lag keineswegs im künstlerischen Reiz der Werke selbst, die in der Mehrzahl nicht zu den ersten Kategorien der Kunstgeschichte zuzuordnen sind“. Deshalb sei die aktuelle politische Debatte um Raub- und Beutekunst hilfreich gewesen. Kelch: „Wenn immer mehr Dokumentationszentren alles an Kunstgut auflisten, was im Zweiten Weltkrieg verloren ging, so muss im Gegenzug auch publik gemacht werden, was sich in Museen an herrenlosen Stücken in wirren Zeiten angesammelt hat. Nicht nur die Suche der Eigentümer, sondern auch der umgekehrte Weg sollte thematisiert werden.“

Was Geismeier auf „dem umgekehrten Weg“ vorfand, war wenig. Stützen konnte sie sich bei der Dokumentation der 168 Werke auf Listen, die Mitarbeiter des Bode-Museums hinterlassen hatten. Dort waren, ebenso wie an anderen Standorten, private Bilder in Kriegstagen zum Schutz eingelagert worden. Außer den „ersten Notizen“ blieb mühevolle einjährige Kleinarbeit das Tagesgeschäft.

„Bringer nicht zu ermitteln“, lautete der Standardsatz in den Listen der Nachkriegszeit. „Wir begannen die Bilder zu fotografieren, die Notizen auf den Rahmen, Vermerke auf den Rückseiten zu dechiffrieren und andere Zeichen in Englisch oder Kyrillisch aufzuschlüsseln“, erinnert sich Geismeier. Schon dies gab Hinweise, ob Bilder geraubt, in Museen transportiert und auf verschlungenen Wegen zurückgefunden haben. Zugleich wurden alle erreichbaren Notizen, Akten und Aufzeichnungen von Museen ausgewertet, um mögliche Anhaltspunkte für die Herkunft, den Besitz und die Geschichte der Bilder zu ermitteln. Schließlich wurden Bilder gereinigt, etwas restauriert und große Beschädigungen zum Teil behoben. „Eine Wahnsinnsarbeit, Grundlagenforschung“, sagt Geismeier.

Das Ergebnis ist phänomenal und niederschmetternd zugleich: Klar ist, dass zum einen Bilder aus jüdischem Besitz entwendet worden waren, der Raub und seine Herkunft sich aber kaum rekonstruieren lassen. „Herkunft unbekannt“, heißt es bei einer Vielzahl von Gemälden, die in Bunkern oder Depots die letzten Kriegstage überdauerten und heute keiner mehr kennt. Es sind Bildnisse von jungen Damen, Stilleben bürgerlicher Wohnzimmer und Salons oder Kopien aus dem 17. Jahrhundert reicher Liebhaber. „Herkunft unbekannt“ lässt Abgründe ahnen.

Zum anderen häuften sich mit der Bombardierung Berlins die Bitten fremder Sammlungen und privater Besitzer sowie Kunsthändler, die Gemälde sicher einzulagern. Dass es in den Kriegswirren schlecht um die „Sicherheit“ bestellt war, zeigt die lückenhafte Inventarisierung der Bilder. Funde in Banksafes und kryptische Notizen von Beamten wie „Gemälde erhalten“ oder „zurück“, „Z.“, waren Irrläufer. Hinzu kommen Kunstschätze aus östlichen Museen, die „rückgeführt“ (!) worden waren, allerdings ohne weitere Angaben über Herkunft und Besitz.

Pikant liest sich da im Katalog die Geschichte eines Kunsthändlers, der 1942 gleich mit sieben Bildnissen im Gepäck in Berlin anreiste, diese abgab und nie wieder gesehen wurde. Taucht der Name von SS-Hauptscharführern oder von Reichsministerien auf, kann man auf den Bilderraub der Nazi-Schergen schließen. Allein Joseph Goebbels und Hermann Göring unterschlugen unzählige Werke aus jüdischen Besitz. Und was soll die Gemäldegalerie tun, wenn sie glaubt, auf Bilder aus der Sammlung Graf Harrach (Wien) gestoßen zu sein, „nach mehrmaliger Anfrage bei der Direktion der Harrachschen Familiensammlung das Bild in den Inventaren dort aber nicht nachzuweisen“ ist? „Herkunft unbekannt“, schreibt die Museumsfrau unter das Bild.

Bis sich die Besitzer melden, sagt Irene Geismeier, bleiben die Bilder im Depot der Gemäldegalerie. „Landschaft mit Staffage“ aus dem 17. Jahhundert. „Merkur auf der Weltkugel tänzelnd“ von 1634 oder „Das Pfingstwunder“, neapolitanisch aus dem 17. Jahrhundert, Künstler unbekannt. Mit dem Aufbau von Datenbanken etwa in Frankreich oder durch die Jewish Claims Conference steige die Chance, „dass für das eine oder andere Stück Fremdbesitz ein früherer Eigentümer gefunden“ werden könne. Etwa für einige der schönsten Bilder: „Cimon und Pero“ eines bolognesischen Malers aus dem 17. Jahrhundert, das über das Außenamt 1957 in die Sammlung kam. Oder Tiepolos „Steinigung des Hl. Stephanus“ von 1754, ein Meisterwerk, „Herkunft unbekannt“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen