: Gnadenfrist für Nordirlands Frieden
Bis Ende dieser Woche muss die katholische IRA sich in der Frage der Waffenübergabe bewegen – sonst würde die nordirische Regierung aufgelöst und der Friedensprozess wäre endgültig gescheitert ■ Aus Dublin Ralf Sotscheck
Die Galgenfrist für den nordirischen Friedensprozess ist erneut verlängert worden, doch am Freitag läuft sie endgültig ab. Dann unterzeichnet die britische Königin ein Gesetz, wonach Nordirlands nur neun Wochen alte Regierung suspendiert und die Krisenprovinz wieder von London aus regiert wird – es sei denn, die Irisch-Republikanische Armee (IRA) lenkt in Sachen Abrüstung ein.
Am Wochenende erklärte die Organisation, dass die Krise überwunden und die Waffenfrage gelöst werden könne, aber nicht durch Ultimaten. „Wir erkennen an“, heißt es in der Erklärung, „dass bei der Waffenfrage eine akzeptable Umgehensweise gefunden werden muss. Das ist ein notwendiges Ziel eines echten Friedensprozesses – aus diesem Grund sind wir in Kontakt mit der Abrüstungskommission. Wir haben die Bemühungen unterstützt, die Waffenfrage zu lösen, und werden das auch weiterhin tun. Die IRA stellt keine Bedrohung für den Friedensprozess dar.“
Den Unionisten reicht das nicht aus. Ihr Vorsitzender David Trimble, Friedensnobelpreisträger und nordirischer Premierminister, muss sich am Samstag dem Rat seiner Partei stellen. Dieses Gremium, dem 860 Delegierte angehören, wird von ihm den Rückzug aus der Regierung einfordern, den er im November versprochen hat, sollte die IRA nicht mit der Abrüstung begonnen haben.
Um Trimble zu retten, will die britische Regierung die nordirischen Institutionen lieber auf Eis legen. Ursprünglich sollte das bereits vorige Woche geschehen, nachdem der kanadische General John de Chastelain, der die Abrüstungskommission leitet, in seinem Bericht keine Fortschritte vermelden konnte. Auf Intervention der irischen Regierung will man nun bis Freitag warten.
Sicher ist, dass die IRA auch bis dahin nicht mit der Ausmusterung ihrer Waffen beginnen wird. Die irische Regierung hofft auf eine weitergehende Erklärung, in der sich die IRA auf verbindliche Termine für die Abrüstung festlegt. Als Stichtag gilt der 22. Mai, zwei Jahre nach Inkrafttreten des Belfaster Friedensabkommens, in dem die Waffenabgabe allerdings nicht ausdrücklich festgelegt ist.
Sollte das Regionalparlament und die gesamtirischen Institutionen am Freitag ausgesetzt werden, ist der Friedensprozess wohl gescheitert. Eine Wiederbelebung der Gremien ist kaum möglich, zumal Trimbles politisches Überleben in diesem Fall stark bedroht wäre. Ohne Trimble aber würde das unionistische Lager gegenüber Sinn Féin, der politischen IRA-Vertretung, wieder eine harte Linie fahren.
Darüber hinaus würde bei einer Suspendierung der Regierung die Bereitschaft der IRA zur Abrüstung weiter sinken. Sinn-Féin- Präsident Gerry Adams hat gegenüber der britischen Regierung vorige Woche erklärt, dass man ihn aus dem Sinn-Féin-Vorstand hinausgeworfen hätte, wenn er weiterhin auf Abrüstung gedrängt hätte. Die IRA-Führung ihrerseits befürchtet die Abwanderung vieler Mitglieder zu Splittergruppen, denn die Waffenabgabe wird von den meisten als Geste der Unterwerfung interpretiert. Ein IRA-Mann aus Belfast meinte: „Die Basis sagt: Wir haben der Führung den Waffenstillstand gegeben, wir haben ihnen die tollen Jobs im Regionalparlament verschafft, ihre Limousinen und internationale Bewunderung, aber wir geben ihnen nicht unsere Waffen.“
Die Frage ist, wie die IRA auf eine Suspendierung der neuen Institutionen reagieren wird. Wenn die Eckpfeiler des Friedensprozesses demontiert sind, und zwar mit Zustimmung der irischen Regierung und der nordirischen Sozialdemokraten, dann scheint die einzig mögliche Alternative für die IRA die Rückkehr zum bewaffneten Kampf, prophezeit der Belfaster Journalist Ed Moloney. Genauso unausweichlich, das wissen auch die IRA- Mitglieder, ist bei dieser Strategie eine Niederlage.
Eamonn McCann, einer der Begründer der nordirischen Bürgerrechtsbewegung Ende der Sechzigerjahre, schlägt Sinn Féin dagegen eine andere Taktik vor: Die Partei sollte noch in dieser Woche aus der Regierung austreten und in die Opposition gehen. Damit wäre die Waffenfrage zunächst vom Tisch. Außerdem müsste Sinn Féin dann nicht mehr eine rechte Wirtschaftspolitik und eine noch konservativere Sozialpolitik mittragen. Sinn Féin könnte die Sozialdemokraten bei den nächsten Wahlen 2003 überflügeln und als stärkste katholische Partei ins Regionalparlament einziehen. Dann ginge nichts mehr im Parlament ohne Sinn Féins Zustimmung – ob die IRA bis dahin abgerüstet hat oder nicht.
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