„Bahne frei, Kartoffelbrei!“

In Eisrinnen verkehrt André Lange, seit er elf Jahre alt ist, aber erst als Bobpilot wurden sie ihm richtig vertraut. Gestern wurde er Weltmeister im Viererbob ■ Aus Altenberg Markus Völker

Schwer vorstellbar, dass Rodeln keinen Spaß machen kann. Warum sollte man keine Freude daran haben, Steilhänge auf rutschigen Untersätzen runterzusemmeln, „Bahne frei, Kartoffelbrei!“ zu rufen und in Schneewehen zu rauschen, dass es nur so stiebt?

André Lange (26) hatte die Lust verloren. Dabei durfte er als Erwachsener noch immer das tun, wovon die Kids träumen, sobald eine Schneeflocke vom Himmel tänzelt. Mit 19 Jahren rodelte er winters fast jeden Tag und hatte das Ziel vor Augen, einmal so erfolgreich wie Georg Hackl oder Jens Müller zu werden. Auf Eisrinnen in Ilmenau und Oberhof preschte er zu Tal, und eigentlich hätte der Mann aus dem Thüringer Wald das Rodeln als Verlängerung der Kindheit Lauf für Lauf genießen können. Wenn da nicht die Sache mit den vielen Stürzen gewesen wäre, die das Schlittenfahren plötzlich zu einer ernsten Angelegenheit machten.

Allein im Winter 1993 fuhr er sechs Schlitten kaputt. Lange verschmolz nicht mehr mit dem Sportgerät, er focht Kämpfe mit ihm aus. Nach der Deutschen Meisterschaft in Oberhof im gleichen Jahr erkannte er die Überlegenheit des Rodels an und suchte sich ein anderes Gefährt, das mehr Sicherheit bot: den Bob. Da war er nicht mehr auf sich allein gestellt.

Ein beziehungsweise drei Mann sitzen hinter ihm und sind genauso nervös wie der Pilot. Ein Gehäuse schützt vor Crashs, und außer Bandenchecks unterliefen Lange kaum noch grobe Fehler. Er war da angekommen, wo er hingehörte. Die Erfolge stellten sich schnell ein: Junioren-Weltmeister, Europameister, Deutscher Meister. Bei der Bob-WM in Altenberg (Erzgebirge) wurde er am vor einer Woche Vizeweltmeister im Zweierbob, gestern Nachmittag gewann er den Vierer-Titel. Mit 62 Hundertstel Rückstand war ein Athlet hinter ihm platziert, dessen Name dem seinen zum verwechseln ähnlich ist, Christoph Langen (37). Beide Steuermänner aber trennt mehr als nur ein Konsonant im Nachnamen.

Langen, der Bayer, sagt, was er denkt, manchmal noch etwas mehr. Lange, der Thüringer, sagt lieber ein Wort zu wenig als eines zu viel. „Er hat mit Christoph Langen, der immer alles rauslässt, ein schlechtes Beispiel vor Augen“, sagt Langes Jugendcoach Bernd Roßmann: „André ist nicht in der Position, in der er sich extrem positionieren muss. Er ist deswegen aber kein zurückhaltender Typ.“

Die Funktionärsschelte überlässt der Jüngere dem Älteren. Wenn es darum geht, dem Bob-Weltverband FIBT Konzeptionslosigkeit und schlechtes Marketing vorzuwerfen, ist Langen behend zur Stelle und referiert über die Lage des Bobsports, was meist in der Diagnose mündet: „Wir sind die Deppen des Wintersports!“ An derlei Rundumschlägen beteiligt sich Lange nicht. Er sagt lieber vorsichtig: „Man sollte einfach mal experimentieren, dann wird man sehen, was ankommt.“

An Plänen herrscht kein Mangel. Der Bau zweier Parallelbahnen, auf denen direkte Duelle abgehalten werden könnten, war im Gespräch, ebenso die Reduzierung der Läufe, so genannte Kufen-Events unter Beteiligung aller Disziplinen, Skeleton, Rodeln und Bob oder K.o.-Wettbewerbe ähnlich dem Skisprung. Lange hat ein sehr einfaches Rezept zur Belebung der verfahrenen Situation: „Ein Generationswechsel, der sich jetzt vollzieht, tut dem Bobsport vielleicht auch wieder gut.“

Neben Lange wollen René Spieß (26) aus Winterberg und der Oberhofer Matthias Höpfner (24) im deutschen Boblager Verantwortung übernehmen. Altmeister Harald Czudaj (38) forciert seine postsportive Karriere; er kümmert sich vermehrt um das Management seines Fitnesskomplexes in Riesa. Langen hingegen nimmt die Herausforderung noch an. „Ich bin ein kompletter Einzelkämpfer, Privatfahrer. André Lange hat einen eigenen Mechaniker, ist eigentlich Werksfahrer. Er ist der Einzige, der im Nationalteam stark vom Verband unterstützt wird“, stichelt Langen.

Roßmann hält das für „großen Unsinn“, da Langen, der in Unterhaching zu Hause ist, gute Sponsorenverträge abgeschlossen hat und dem Deutschen Bob- und Schlittensportverband (DBSV) nicht nur geografisch nahe steht. Lange vertraut auf das, was er kann – Bobfahren. Er ist lieber am Lenkseil als im Rampenlicht. Auf schwierigen Bahnen, wie in Cortina d’Ampezzo und Altenberg, fühlt er sich am wohlsten, weil er dort auf sein rodlerisches Feingefühl bauen kann. Nach dem Gewinn der zweiten Medaille in Altenberg verkündete der Ilmenauer, nun „brennt das Zelt“.

Das war markig, direkt, anschaulich. Fast wie der Bayer mit dem finalen n. Nur ein wenig zu leise diktierte er’s in die Blöcke der Reporter.