: Marktöffnung für Erdgas
■ Nach dem Strommarkt wird auch der Gasmarkt liberalisiert. Ob jedoch die Verbraucher davon profitieren, ist offen. Mit Preisschwankungen ist zu rechnen. Auch der Verlust von Arbeitsplätzen ist nicht auszuschließen
Nach Flugverkehr, Post und Telekommunikation erwischte die Liberalisierung hierzulande ab Ende April 1998 mit der Energiebranche einen der letzten verbliebenen abgeschotteten Wirtschaftssektoren. So ganz haben Angebot und Nachfrage die Energiewirtschaft aber noch nicht erreicht. Während es in der Stromsparte vor allem im vergangenen Jahr zu einer Inflation bunt-poppiger Angebote und vor allem zu Preisnachlässen in Höhe von rund 30 Prozent kam, wartet die Gaswirtschaft noch immer darauf, wie Schneewittchen für den Wettbewerb wachgeküsst zu werden.
Das wird sich ändern: Mit ihrer Richtlinie zum Energiemarkt vom Juni 1996 hatte die Europäische Union festgelegt, dass die Öffnung der Gasmärkte bis spätestens 10. August 2000 in nationales Recht umgesetzt sein muss. Wie schon im Stromsektor hat Bundeswirtschaftsminister Werner Müller es der Branche mit ihren Interessengruppen erst einmal selbst überlassen, sich ihre Spielregeln für den Kampf um die mehr als 15 Millionen privaten Gaskunden zu stricken.
Sozusagen als Weihnachtsgeschenk wollten die vier beteiligten Verbände, der Bundesverband der deutschen Gas- und Wasserwirtschaft (BGW), der Verband Kommunaler Unternehmen (VKU), der Verband der industriellen Energie und Kraftwirtschaft (VIK) sowie der Bundesverband der Deutschen Industrie, dem Wirtschaftsminister den Entwurf ihrer Verbändevereinbarung unter den Tannenbaum legen.
Die Verhandlungen kommen auch jetzt nur mühsam voran. Prophylaktisch hat Werner Müller vor wenigen Wochen mit einer eigenen Verordnung gedroht, um für mehr Tempo zu sorgen. „Wir rechnen mit einer unterschriftsreifen Fassung Mitte bis Ende März“, skizzierte ein Sprecher der Essener Ruhrgas AG den Zeitplan bei Redaktionsschluss.
Bekanntlich steckt der Teufel im Detail: Während BDI und VIK auf weitreichende Öffnungsklauseln drängen, die vor allem ausländischen Anbietern den Marktzutritt erleichtern sollen, setzen die Repräsentanten der Gasbranche auf eine schrittweise Öffnung. Solange wie möglich wollen sie von dem Geschäft mit den flüchtigen Molekülen profitieren. Hierzulande tummeln sich gleich 17 Ferngasgesellschaften, allen voran die Ruhrgas mit einem Marktanteil von 60 Prozent, etwa 80 Regionalverteiler sowie 600 Stadtwerke. Kein anderer Energieträger hat in den vergangenen Jahrzehnten einen solchen Höhenflug erlebt: Bei 21 Prozent liegt der Gasanteil heute am deutschen Primärenergieverbrauch. Nach Markteinschätzungen könnte diese Quote bis zum Jahr 2020 auf 30 Prozent und mehr steigen – bei einem schnellen Atomausstieg und ambitionierten Klimaschutzzielen sogar noch mehr. Inwieweit es in der Gasbranche zum Wettbewerb kommt, hängt von den Durchleitungsgebühren ab. Denn die Rohre, durch die die Energie zum Heizen, Kochen und zur Stromerzeugung strömen soll, gehören den Versorgern, die mit dem Gas bislang nur ihre eigenen Kunden beliefert haben. Bei ihren Verhandlungen haben sich die vier Verbände zuletzt in einem Eckpunktepapier auf die Grundzüge der Transportmodalitäten geeinigt.
Das zweistufige Modell sieht für die Durchleitung auf der Ferngasebene entfernungsabhängige Gebühren vor, auf der regionalen und lokalen Ebene ist dagegen ein von der Entfernung unabhängiger „Briefmarkentarif“ vorgesehen. Dass es eine entfernungsabhängige Komponente gibt, macht für Christian Heinrich Sinn. Schon zu Beginn der Verhandlungen der Verbändevereinbarung betonte der Geschäftsführer der Duisburger Thyssengas GmbH im Fachblatt Energie & Management: „Es ist nun einmal Fakt, dass wir beispielsweise Gas von Emden nach Duisburg wirklich transportieren. Und das kostet viel Geld. Gas ist nicht vergleichbar mit Strom, dessen Elektronen sozusagen überall anzapfbar sind.“
Abgesehen von dieser grundsätzliche Einigung gilt es noch mehrere „Knackpunkte“ zu lösen. Dazu heißt es in einem BGW-Papier: „Im Eckpunktepapier wurde festgehalten, dass die Behandlung von Erschwernissen (beispielsweise Bodenbeschaffenheit, Netzsanierung, besondere Situation in den neuen Bundesländern) sowie Lastprofile für Verbraucher, bei denen eine Leistungserfassung aus betriebswirtschaftlichen Gründen nicht zumutbar ist, noch in den weiteren Verhandlungen zu regeln sind.“
Außerdem muss es noch Lösungen für den Zugang zu den unterirdischen Gasspeichern geben sowie eine Regelung, wie die unterschiedlichen Erdgasqualitäten (H mit hohem Brennwert, L mit niedrigem Brennwert) gehandhabt werden.
Bleibt die spannende Frage, mit welchen Gaspreisen die Verbraucher künftig zu rechnen haben. Die Branche gibt sich bedeckt. „Zu Spekulationen nehmen wir keine Stellung“, sagt BGW-Sprecher Christof Riegert Anfang Februar. Auch sein Pendant bei der Ruhrgas, Helmut Roloff, winkt ab: „Bevor die Verbändevereinbarung nicht abgeschlossen ist, lässt sich dazu nichts sagen.“
Mitte Januar veröffentlichte die Pricewaterhouse Coopers Unternehmensberatung eine Studie, wonach die Privathaushalte mit Preissenkungen von höchstens fünf Prozent rechnen können, kein Preisrutsch also wie im Strommarkt. In einem Interview deutete Christian von Weizsäcker, Direktor des Energiewirtschaftlichen Instituts an der Universität Köln, ganz neue Entwicklungen an: „Die Gaspreise dürften künftig viel stärker und rascher schwanken als bislang – übrigens auch mal nach oben.“ Das hänge vor allem von dem Angebot auf den Weltmärkten ab.
Auch wenn die Verbändevereinbarung noch nicht unterschrieben ist, zeichnet sich eine Entwicklung, ähnlich wie in der Elektrizitätswirtschaft, schon ab: Die Gaswirtschaft baut Arbeitsplätze ab. So kündigte unlängst die VNG Verbundnetz Gas AG in Leipzig, größter Versorger in den fünf neuen Bundesländern, ihrer Belegschaft unumwunden an: Jeder fünfte der rund 1.000 Arbeitsplätze steht zur Disposition.
Ralf Köpke
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