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„Gesetzlich, aber nicht menschlich“

Abschiebung eines 16-jährigen Syrers knapp verhindert. Walter Momper half

In letzter Minute haben zwei Rechtsanwältinnen am Dienstagabend die Abschiebung eines 16-jährigen Jungen nach Syrien verhindert. Zwanzig Minuten vor Abflug der Maschine aus Tegel ließ sich der Bundesgrenzschutz überzeugen, dass bei der Ausweisung von Ibrahim N. Fristen missachtet wurden. Vorher hatten die Anwältinnen, BGS-Beamte und der ehemalige Regierende Bürgermeister Walter Momper, ein Freund der Familie N., anderthalb Stunden um Ibrahims Schicksal verhandelt.

Der Junge war morgens um halb sieben von der Polizei zu Hause überrascht und in Handschellen abgeführt worden. „Zum Waschen und Anziehen hatte ich kaum Zeit“, berichtete der Schüler. „Die haben mich behandelt, als wäre ich ein Verbrecher.“ Später wurde Ibrahim, der seit 1996 bei seiner Tante in Berlin lebt, von der Polizei wieder nach Hause gefahren, um seine Sachen zu packen. Morgens hatte man ihm dazu keine Zeit gelassen. Stress und Angst waren offenbar zu viel für den Jungen. Er fiel in Ohnmacht. Laut Aussage seiner Tante ist er in diesem Zustand von Polizisten aus dem Haus geschleppt worden.

Der Abschiebungsbeschluss traf Ibrahim und seine Tante Rihab N. völlig unerwartet. „Wir waren letzte Woche noch bei der Ausländerbeauftragten Frau John, und sie sagte, es bestehe keine Gefahr“, erzählte Frau N. Sie ist seit 25 Jahren deutsche Staatsbürgerin und arbeitet an der gleichen Schule wie Anne Momper, die am Dienstag ebenfalls am Flughafen war.

Als Ibrahim mit zwölf Jahren zu seiner Tante kam, stellte diese einen Adoptionsantrag. Das Amtsgericht lehnte ab, seitdem wartet die Familie auf eine Entscheidung des Landgerichts. Im Falle einer Adoption würde Ibrahim automatisch deutscher Staatsbürger.

Obwohl der Junge keine Sozialhilfe bezieht, ist die Ausländerbehörde nicht bereit, auf die Entscheidung des Gerichts zu warten. Im vergangenen Herbst lehnte sie den Antrag auf Aufenthaltsgenehmigung ab. Nun läuft parallel zum Adoptionsantrag auch noch ein Widerspruchsverfahren gegen den Beschluss vom Herbst.

Walter Momper erzählt von dem dramatischen Abend am Flughafen: „Wir haben mit den Beamten die Gesetzbücher gewälzt, und als letztes Glied in der Kette hat der BGS für den Jungen entschieden.“ Zu der Entscheidungsgrundlage sagte er: „Das ist zwar gesetzlich, aber nicht menschlich.“

Ibrahim musste die Nacht in einer Zelle in Tempelhof verbringen – und das, obwohl kein Haftbefehl vorlag. Erst gestern morgen wurde er entlassen. Heute befasst sich die Härtefallkommission mit seinem Fall. Frauke Niemeyer

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