: Bohls Patzer lässt horchen
Ex-Kanzleramtschef Friedrich Bohl gerät ins Visier der politischen Gegner: Keine Akten, nur unwichtige Konzepte vernichtet
Berlin (dpa) – Friedrich Bohl war irritiert und für seine Verhältnisse beinahe heftig. Seine Äußerungen zu dem Verschwinden der Leuna-Akten seien „verdreht und verfälscht worden“, versicherte der ehemalige Kanzleramtschef Helmut Kohls. Die jüngsten Verdächtigungen zu den merkwürdigen Lücken in den Aktenbeständen seien haltlos.
Tatsächlich rückt der Ex-Kanzleramtsminister in den Mittelpunkt des Aktenschwunds kurz vor der Übergabe der Behörde an den neuen Kanzler. Die Bonner Staatsanwaltschaft bestätigte gestern, dass auch sie wegen der verschwundenen Privatisierungsunterlagen der Raffinerie Leuna ermittelt.
Bohl hatte gestern in einem Zeitungsinterview eingestanden, er habe zwar nicht Akten, aber doch politische Konzepte von Festplatten löschen lassen. Mit seinen ungelenken Dementis, er habe das Gespräch mit dem Tagesspiegel nicht mehr gegengelesen, schliddert der 55-jährige Jurist Bohl mit einer Woche Verspätung ins Zentrum der Affäre. Bereits vergangenen Donnerstag hatte der jetzige Kanzleramtschef Frank-Walter Steinmeier von Aktenlücken berichtet, die in Bohls Amtszeit entstanden waren und viel größer sind als bisher vermutet. Auch Akten zum Verkauf von Panzern an Saudi-Arabien fehlen.
SPD und Grüne kündigten nun mit Nachdruck an, den Papierschwund in Kohls Kanzleramt, und vor allem Bohls Erklärungen dazu, minutiös im Untersuchungsausschuss unter die Lupe nehmen zu wollen.
Warum Bohl als Behördenchef nichts über das Verschwinden der brisanten Leuna- Akten gewusst habe, obwohl dies seit 1997 bekannt war, wollen die Koalitionäre wissen. Und auch, was hinter der Datenlöschung auf den Kanzleramtscomputern steckt – kurz bevor Gerhard Schröders Mannschaft im Oktober 1998 in die Machtzentrale zog. Der angriffslustige Grünen-Obmann Hans-Christian Ströbele forderte praktische Ermittlungen gegen Bohl selbst: „Herr Staatsanwalt, bitte übernehmen Sie!“
Verdachtsmomente gegen den Mann, der neben Kohl immer wie ein schmalgesichtiger Schüler aussah, liegt derzeit allerdings nichts vor. Aber auch Kohl sah sich gestern genötigt, Bohl zur Seite zu springen. „Ich hab gar keine Zweifel daran, dass das korrekt gemacht wurde“, sagte er – obwohl er sich mit Bohl über Akten nie unterhalten haben will.
Kohl und Bohl – Sie hatten sich auch in der Vergangenheit prächtig ergänzt. Bohl war der wichtigste Zuträger seines Herrn aus der Regierungsfraktion. Im damals oft bewunderten „Machtsystem Kohl“ wirkte Bohl als entscheidendes Scharnier zwischen Regierung und damaliger Mehrheitsfraktion. Das änderte sich auch nicht, als der aus Marburg stammende Abgeordnete 1991 von Kohl ins Kanzleramt geholt wurde. Auch hier waren nicht die großen politischen Entwürfe seine Stärke. In für Kohl kritischen Zeiten hatte er politische Schwelbrände ausgetreten oder auch mitunter mit giftigen Angriffen den politische Gegner in Rage gebracht. Er hatte nie eigene weiter gehende Ambitionen – anders als sein Vorgänger Wolfgang Schäuble. „Ich berate den Kanzler, der Kanzler entscheidet“, lautete sein Motto.
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