: Gegenschlag der türkischen Hardliner
Kurdische Bürgermeister bleiben trotz aller Proteste in Haft
Istanbul (taz) – Allen Protesten der EU zum Trotz sind gestern Nacht die drei am Wochenende festgenommenen kurdischen Bürgermeister aus Diyarbakir, Bingöl und Siirt in Untersuchungshaft genommen worden. Die Staatsanwaltschaft am Staatssicherheitsgericht in Diyarbakir wirft ihnen vor, die kurdische Arbeiterpartei (PKK) finanziell unterstützt und Weisungen von PKK-Funktionären angenommen zu haben. Die Bürgermeister sollen sich in Westeuropa mit hohen PKK-Funktionären getroffen haben.
Die drei Bürgermeister waren am Wochenende auf offener Straße verhaftet und anschließend dem Geheimdienst der Gendarmerie übergeben worden. Dort wurden sie bis Mittwochnachmittag verhört und dann dem Gericht überstellt. Nach stundenlangen Verhören durch die Staatsanwaltschaft und den Haftrichter wurde in der Nacht zu Donnerstag ein Haftbefehl erlassen und alle drei in ein Gefängnis in Diyarbakir gesteckt.
Die Festnahme und anschließende Verhaftung der drei, insbesondere des prominenten Bürgermeisters von Diyarbakir, Feridun Celik, hat in der Türkei und im Ausland zu heftigen Protesten geführt. In Diyarbakir wurde seit Sonntag ständig demonstriert, in der Stadt herrscht ein Aufruhr wie seit der Festnahme Öcalans im Februar letzten Jahres nicht mehr. Außer der prokurdischen Hadep selbst, der alle drei Bürgermeister angehören, protestierten auch die türkische Anwaltskammer und die parlamentarische Opposition.
Auch sämtliche europäische Institutionen, vom derzeitigen Ratsvorsitz Portugal über das EU-Parlament, den Europarat bis hin zu einzelnen Mitgliedsländern wie Deutschland, sind in Ankara vorstellig geworden, um gegen die Festnahme der Bürgermeister zu protestieren.
Die EU fürchtet, dass das Vorgehen gegen die Hadep-Bürgermeister einen Rückfall in die alten Tage der Repressionspolitik gegen die kurdische Minderheit bedeuten könnte. Außenminister Joschka Fischer bezeichnete das Vorgehen gegen die Bürgermeister in einem Telefonat mit seinem Kollegen Ismail Cem als „unerfreulich“ und drängte wie seine EU-Kollegen auf eine Freilassung.
Die türkische Regierung wies dagegen alle ausländischen Proteste als unzulässige Einmischung zurück. „Die Türkei kann ihre Probleme allein lösen“, sagte Staatspräsident Demirel während eines Auftritts vor Soldaten. „Sollen wir unsere Gesetze missachten, um der EU einen Gefallen zu tun?“
Ministerpräsident Ecevit mutmaßte, die EU wolle die Türkei jetzt noch stärker unter Druck setzen als vor Helsinki, aber bei diesem Spiel werde man nicht mitmachen. Ecevit ist seit der Entscheidung im Januar, die „Akte Öcalan“ nicht an das Parlament zu leiten, sondern zuerst eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte abzuwarten, massiv unter Druck der Rechten. Die Verhaftung der Bürgermeister ist offenbar Teil eines internen Machtkampfes zwischen Reformern und Hardlinern. Nachdem sich die Reformer in der Frage der Behandlung des „Falles Öcalan“ durchgesetzt hatten, kommt jetzt der Gegenschlag.Jürgen Gottschlich
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