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Über die Schönheit der Rechtshygiene

Muss das Grundgesetz nach dem Bundeswehrurteil des EuGH geändert werden? Vor dem Rechtsausschuss waren sich die ExpertInnen in ihrem Nein einig – nicht aber bei der politischen Bewertung ■ Von Heide Oestreich

Berlin (taz) – Juristen pflegen die Gesetze, von denen sie gerade sprechen, zu verkauderwelschen, indem sie sie in ein Wort zusammenziehen – was bei Laien stets leise Panikgefühle weckt. Aber Grundgesetzartikelzwölfaabsatzviersatzzwei, den kennen wir zum Glück inzwischen. „Sie dürfen auf keinen Fall Dienst mit der Waffe leisten.“ So heißt es von den Frauen im Grundgesetz, Artikel 12 a, Absatz 4 Satz 2. Am 11. Januar 2000 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden, dass Artikelzwölfa-etc. der Europäischen Gleichstellungsrichtlinie entgegensteht.

Hat die Bundesrepublik nun ein Problem? Muss Artikelzwölfa-etc. nun gestrichen werden? Eine ExpertInnenanhörung im Rechtsausschuss des Bundestages sollte am Mittwoch Klarheit bringen. Aus dem juristischen Potpourri der neun Sachverständigen ließ sich am Ende vor allem herauslesen, dass diese Frage politisch beantwortet werden muss.

Wie öfter bei solchen Anlässen, in denen das ExpertInnenpodium nach Parteiproporz besetzt ist, spalteten sich die Fachleute in eine Betonfraktion älteren Semesters und eine Melange aus fortschrittlich Gesinnten. Den Professoren Peter Badura aus München und Wolfgang Löwer aus Bonn passte die ganze Richtung nicht: Sie stellten die euroskeptische Grundfrage, ob der EuGH sich überhaupt einmischen darf, wenn es um die nationale Verteidigungspolitik geht. In Fragen der öffentlichen Sicherheit sind die EU-Staaten eigentlich souverän. „Das habe ich meinen Studenten als Hausaufgabe aufgegeben“, ließ Wolfgang Löwer wissen. Doch nun habe der EuGH Rechtstatsachen geschaffen, an die man sich wohl oder übel halten müsse.

Es geht also um die Frage, ob man den berühmten Artikelzwölfa-etc. im Grundgesetz streichen muss oder nicht. Rein juristisch betrachtet, so viel war schnell klar, kann der Satz stehen bleiben. Denn die Rechtsauffassung, die sich in letzter Zeit durchsetzt, lautet: Da der Satz in dem Absatz über Dienstpflichten untergebracht wurde, berührt er den freiwilligen Dienst von Frauen an der Waffe nicht. Dennoch war dieser Satz jahrzehntelang der Schild, den alle Gegner und Gegnerinnen von Frauen in der Armee vor sich hertrugen. Auch die Gerichte hatten sich darauf berufen. Sollte der Satz nun so ausgelegt werden, dass er sich nur auf die Dienstpflicht bezieht, würde die Republik einen 180-Grad-Schwenk in ihrer Rechtsauffassung vollziehen.

Durchaus vertretbar, wie Manfred Zuleeg von der Uni Frankfurt und ehemaliger EU-Richter, meinte. Denn die EU-Mitglieder haben sich verpflichtet, ihr nationales Recht „im Lichte des Gemeinschaftsrechts“ auszulegen. Der Satz, schließt Zuleeg deshalb, muss überhaupt nicht gestrichen werden. Es wäre aber schöner für die Rechtshygiene, wendete dagegen Axel Kämmerer von der Uni Tübingen ein: Wäre der Satz weg, könnte auch in Zukunft niemand mehr auf die Idee kommen, mit seiner Hilfe gegen die EuGH-Entscheidung zu klagen.

Was passiert aber, wenn der Satz gestrichen wird? Charlotte Schütz von der Bundeswehr-Universität in Hamburg wies auf eine Falle hin, in die man dann geraten könnte: Denn der Satz steht im Absatz über Dienstpflichten für Frauen im Verteidigungsfall: Tritt der ein, können Frauen zum Lazarettdienst verpflichtet werden. Wenn sie sich dort auch mit Waffen verteidigen, hätte man de facto einen Pflichtdienst für Frauen mit Waffen geschaffen. Schütz befürwortete deshalb statt einer Streichung eher einen Zusatz, der klarstellt, dass das Waffenverbot sich nur auf Pflichtdienste bezieht und nicht auf freiwillige.

Das „Frauenbild hat sich radikal verändert“, fasste Gudrun Schattschneider vom Bundeswehrverband zusammen. Es gebe keinen Grund, Frauen, die Panzer fahren wollten, dieses zu verweigern. Die Kriegserfahrenen unter den Experten schüttelte es: Romantizismen seien das, schnaubte Professor Löwer. Kämpfende Frauen gehörten „nicht zu unserer zivilisatorischen Erfahrung“, erklärte er. In Israel habe man sie aus den Kampfeinheiten wieder entfernt, weil der „Schutzreflex“ männliche Soldaten zwinge, statt zu kämpfen sich um ihre verwundete Kameradin zu kümmern.

Der größere Teil der zuhörenden Abgeordneten hatte andere Sorgen: Ob denn nun auch die Frauenförderung des öffentlichen Dienstes bei der Bundeswehr Anwendung finden würde, wollte Petra Bläss von der PDS wissen. Eine weitere Frage blieb, ob denn Männer nun auf Gleichbehandlung klagen könnten, sodass eine Wehrpflicht für Frauen eingeführt werden müsse, oder gar die Wehrpflicht für Männer abgeschafft werden solle. Hier waren die Juristen ausnahmsweise einmütig: Alle Gleichstellungsgesetze bezögen sich auf Arbeitsverhältnisse. Der Wehrdienst sei aber höchstwahrscheinlich als Zwangsverhältnis einzustufen. Und bei den Zwangsarbeiten hört die Gleichberechtigung dann endgültig auf.

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