: Chinas Führung braucht den internationalen Streit
Außenpolitische Konflikte sollen von Pekings innenpolitischen Problemen ablenken
Peking (taz) – Seit Tagen wettert Chinas Regierung gegen die Führungen Taiwans und der USA, deren demokratisches Einverständnis im Hinblick auf die anstehenden taiwanischen Präsidentschaftswahlen aus Sicht Pekings den Separatismus der Insel fördert. Gestern eröffnete die Parteizeitung China Daily noch einen weiteren Zwei-Fronten-Propagandakrieg. Sie drohte wegen des geplanten Besuchs des Dalai Lama bei dem nationalistischen Tokioter Gouverneur Shintaro Ishihara mit einer Verschlechterung der chinesisch-japanischen Beziehungen. So streitet sich Peking gleichzeitig mit den USA und Japan um Taiwan und Tibet in einem Ton, der mit diplomatischen Gepflogenheiten nichts mehr zu tun hat.
Zumindest der Streit mit Japan ist neu. Denn der Dalai Lama, das religiöse und politische Oberhaupt der tibetischen Exilregierung, hatte schon mehrfach Japan besucht, ohne dass Peking groß protestierte. Die Gelegenheit dafür bietet nun das Treffen von zwei der prominentesten asiatischen China-Kritiker: Ishihara, der den Dalai Lama nach Tokio einlud, hat wie kein anderer japanischer Spitzenpolitiker die chinesische Taiwan-Politik angegriffen, dabei indirekt ein Militärbündnis Tokios mit Taipeh in Aussicht gestellt und wiederholt Japans Kriegsverbrechen in China verharmlost.
Die Verstimmung zwischen Peking und Tokio hat weitreichende Folgen: Erst in dieser Woche schlug die chinesische Regierung eine inoffizielle japanische Einladung zum G 8-Gipfel im japanischen Okinawa aus. Tokio hatte sich nach Anregung des deutschen Bundeskanzlers dazu durchgerungen. Gerhard Schröder hatte im Herbst als erster westlicher Regierungschef die Einbeziehung Chinas in die G 8 gefordert. Westliche Diplomaten in Peking gehen davon aus, dass China nicht eine Einladung aus Japan annehmen wollte, weil dies dort als Erfolg verbucht werden könnte.
Erstaunlich ist jedoch, dass Peking gleichzeitig die Brüskierung Japans und der USA riskiert, wo man sonst eher versucht, diese gegeneinander auszuspielen. Chinas neue Androhung einer gewaltsamen Wiedervereinigung mit Taiwan hat über Nacht alle Annäherungen zwischen Peking und Washington seit Ende des Kosovokrieges wieder in Frage gestellt. Selbst der Beitritt Chinas zur Welthandelsorganisation (WTO), auf den sich beide Seiten im November einigten, scheint wieder gefährdet. Ein Indiz dafür sind auch die gestern erfolglos abgebrochenen WTO-Verhandlungen zwischen der EU und China.
Hinter so viel Konfliktfreude Chinas versteckt sich jedoch keine neue außenpolitische Strategie. Beamte des Außenministeriums scheuen sich dieser Tage nicht, inoffiziell ihren Unmut auszudrücken. Vielmehr will die Parteispitze, die nächste Woche 5.000 Delegierte zum Volkskongress in Peking erwartet, offenbar von innenpolitischen Problemen ablenken. Derer gibt es genug: Berichte über hochkarätige korrupte Kader sind fast alltäglich, weshalb sich die Führung beeilt, noch vor dem Kongress strenge Urteile zu verkünden. Sogar der Kommandant des wichtigen Militärbezirks Nanjing wurde jetzt ausgewechselt – als Folge von Korruptionsverdacht in der Armee. Schnelle Erfolge aber sind bei der Korruptionsbekämpfung nicht zu erwarten – so wenig wie bei der Einschüchterung Taiwans oder Japans. Aber Präsident Jiang Zemin braucht Erfolge, um in zwei Jahren, wenn seine Amtszeit endet, wieder Parteichef zu werden. Georg Blume
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